FUNDStücke

House of One in Berlin: Ein einzigartiges interreligiöses Bauvorhaben

Drei Gotteshäuser – ein Friedensprojekt

Sophie Athié war viele Jahre auf der ganzen Welt als Kulturmanagerin tätig. Vor einem Jahr brach sie beruflich auf zu neuen Ufern und nahm die Stelle als leitende Fundraiserin bei „House of One“ in Berlin an. Das interreligiöse Projekt ist einzigartig in Deutschland – und bewegt Sophie Athié jeden Tag.

 

GRÜN alpha (GAL): Frau Athié, was ist das „House of One“?

Sophie Athié (SoA): Momentan ist das noch eine Vision, deren Grundstein im Mai 2021 gelegt wurde. Die Idee ist allerdings schon ein paar Jahre älter.

Im Zentrum von Berlin entsteht auf dem Fundament einer alten Kirche ein Gebäude, in dem drei Gotteshäuser untergebracht sein werden: eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche. Allein das ist schon bemerkenswert. In Berlin sind so gut wie alle Weltreligionen und ihre Konfessionen vertreten, existieren aber einfach nebeneinander – es wurde Zeit, dass sie einen gemeinsamen Platz zur Andacht finden.

Richtig bewegend wird es, wenn man weiß, dass im „House of One“ alle drei Gebetshäuser über einen gemeinsamen Raum, der das Zentrum des Gebäudes darstellt, betreten werden. Dass sich Menschen verschiedener Glaubensrichtungen im „House of One“ begegnen, ist also unvermeidbar und gewollt.

 

GAL: Dann wird es ein Ort sein, an dem Gläubige zusammenkommen?

SoA: Es wird ein Bet-, aber auch Lehrhaus für alle Menschen sein, egal welcher Religion sie angehören oder ob sie überhaupt gläubig sind. Sie sollen dort miteinander in Kontakt kommen und voneinander lernen.

Neben den Gottesdiensten werden regelmäßige Veranstaltungen das „House of One“ mit Leben füllen. Die Idee dazu stammt aus dem Jahr 2011 und soll zeigen: Die drei abrahamitischen Religionen und auch alle anderen Glaubensrichtungen sind zwar unterschiedlich, aber durch einen gemeinsamen Kanon an Grundwerten verbunden. Dazu gehört beispielsweise die Nächstenliebe. Dadurch sind sie in der Lage, unter einem Dach zu beten und sich auszutauschen.

 

GAL: Was ist Ihre Aufgabe bei diesem Projekt? Wie sind Sie bei „House of One“ gelandet?

SoA: Ich hatte schon vor längerer Zeit davon gehört und kam über einen gemeinsamen Bekannten in Kontakt mit dem Verwaltungsdirektor des „House of One“, Roland Stolte.

Die Stelle für Fundraising war zu dieser Zeit nicht besetzt und wir unterhielten uns recht locker über die Themen Spendengewinnung und Spenderbindung. Es dauert keine 20 Minuten, da hatte ich das Gefühl, an dem Projekt mitwirken zu wollen. Es hat mich schlichtweg fasziniert. Ich bin für das Fundraising zuständig und versuche, Spender*innen zu gewinnen und zu binden. Außerdem suche und überzeuge ich starke Kooperationspartner*innen und Förderer. Ursprünglich komme ich aber aus dem Kulturmanagement und habe unter anderem für das Städel Museum in Frankfurt am Main sowie für das Berliner Ensemble gearbeitet. Seit einem Jahr bin ich jetzt bei „House of One“ und finde die Aufgabe von Tag zu Tag spannender. Zugegeben: Ich war zu Beginn nicht durchweg überzeugt, sondern hatte natürlich meine Zweifel, ob ich als Agnostikerin all meine Leidenschaft in ein solch religiöses Projekt stecken kann.

 

GAL: …Sie sind also nicht gläubig?

SoA: (Schüttelt den Kopf) Nein, in der Tat nicht. Ich komme aus einem katholischen Haushalt, mein Vater war Priester, bevor er sich gegen seine Berufung entschied. Religiös blieb er aber sein Leben lang. Mit der Zeit wurde ich mit der Kirche immer kritischer. Sie können es an meinen drei Kindern sehen: Zwei sind getauft worden, das letzte dann nicht mehr. Das bedeutet nicht, dass ich keine spirituelle Ader habe, aber der Glaube an eine höhere Macht fehlt mir, und das Vertrauen, gerade in die katholische Kirche, wurde bei mir durch die dort herrschenden Missstände erschüttert.

 

GAL: Und trotz Ihrer agnostischen Sicht auf die Welt und der Zweifel, ob Sie wirklich mit Leib und Seele für das „House of One“ einstehen können, taten Sie den Schritt.

SoA: Ich sah in „House of One” von Anfang an ein Friedensprojekt. Natürlich spielt Religion eine entscheidende Rolle, aber allein durch die geplante Architektur des Gebäudes wird deutlich, dass das „House of One“ allen Menschen offenstehen wird, die bereit sind für Begegnung und Dialog. Für alle, die das „anders sein“ des Gegenübers schätzen und davon lernen möchten. Das gilt auch für Atheist*innen oder gar Agnostiker*innen wie mich. Es wird neben dem Begegnungsraum nämlich auch einen Bereich geben, in dem jeder meditieren kann, die sogenannte Stadtloggia. Da ich häufig meditiere, hatte ich darin sofort einen Anknüpfungspunkt. Es wird seit der ersten Idee so viel an Werten und Wissen vermittelt, dass ich sagen kann: Das „House of One“ ist Kultur. Unser Rabbiner, Andreas Nachama, hat mir dabei geholfen, das zu erkennen. Er sieht sich nicht nur als Geistlicher, sondern auch als Intendant und Programmdirektor eines Friedensprojekts. Durch diese Sichtweise hatte ich schnell die Verbindung zum Kultursektor, dem ich so lange angehört habe und dem ich mich verbunden fühle.

 

GAL: Kommen wir zu Ihrer Arbeit als Fundraiserin: Sie beschreiben das „House of One“ als Friedensprojekt. Da kann ja eigentlich niemand etwas gegen haben, oder?

SoA: Doch, natürlich gibt es Skeptiker*innen. Einige von ihnen behaupten das „House of One“ möchte „allein die ganze Welt retten“. Sie sehen in uns Idealisten und glauben nicht, dass das Projekt Bestand haben wird. Es gibt auch aus manchen Religionsgemeinschaften Kritik. Das ist schade, aber nicht verwunderlich. Die drei Religionen, die wir in einem Haus unterbringen möchten, sind zwar eng verwandt, aber in vielen Teilen der Welt sind einige ihrer Anhängerinnen und Anhänger auch verfeindet, oftmals seit Jahrhunderten. Ich beschreibe es so: Wir haben keine wirklichen Feinde, aber Kritiker*innen. Damit müssen wir umgehen.

 

GAL: Diese Herausforderung betrifft den gesamten Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Welchen Problemen begegnen Sie speziell als Fundraiserin?

SoA: Unsere Zielgruppe ist generell groß. Beinahe alle, denen wir von „House of One“ erzählen, finden es unterstützenswert. Es wird als greifbares Friedensprojekt mitten in Berlin und damit innerhalb der Zivilgesellschaft aufgenommen. Aber es ist noch nicht bekannt genug, wir wollen also an unserem Bekanntheitsgrad arbeiten. Deswegen müssen wir sehr viel Kraft investieren, zu erklären, wer wir sind. Das ist bei alteingesessenen Institutionen und Organisationen anders. Bei der Suche nach Kooperationspartner*innen wiederum sollen alle Weltreligionen und auch deren Konfessionen berücksichtigt werden, also auch Hinduismus, Buddhismus, Katholizismus, Schiitentum und viele andere. Das ist eine ganz besondere Herausforderung, die viel Fingerspitzengefühl erfordert.

 

GAL: Was nehmen Sie von Ihrer Tätigkeit mit, wenn Sie in Kontakt mit so vielen und sehr unterschiedlichen Menschen stehen?

SoA: Ich nehme unglaublich viel mit und lerne jeden Tag etwas dazu. Worin ich mich von Anfang an üben musste, war Geduld. Von Natur aus bin ich eher ungeduldig und möchte Projekte schnell umsetzen. Der Bau des „House of One“ wurde schon vor zehn Jahren beschlossen und im Mai 2021 war die Grundsteinlegung. Diese Geschwindigkeit passte nicht zu mir, bis ich erkannt habe, dass dabei etwas großes langsam zusammenwächst und es dafür Zeit braucht. Das „House of One“ existiert bereits, seit es die Idee dazu gibt und es braucht einen Schritt nach dem anderen bis zur Fertigstellung des Gebäudes. Das hat mir gezeigt, dass der Weg das Ziel ist.

 

GAL: Sicher ist nicht jeder Schritt einfach. Wie motivieren Sie sich, wenn es einmal nicht so rund läuft, wie Sie es sich wünschen?

SoA: Ich lese mir die Botschaften durch, die uns Spenderinnen und Spender hinterlassen. Auf unserer Website kann man symbolisch Steine für den Bau des Gebäudes spenden. Danach hat der- oder diejenige die Möglichkeit, eine Nachricht zu schreiben, die öffentlich einsehbar ist. Wenn es mir einmal nicht so gut geht oder ich mit Problemen im Projekt kämpfe, dann lese ich mir diese Nachrichten durch. Sie motivieren mich, geben mir Kraft und führen mir vor Augen, wofür ich mich einsetze. Dann spüre ich, dass das „House of One“ ein Projekt ist, nach dem sich viele Menschen in unserer Gesellschaft sehnen. Natürlich ist es erfreulich zu sehen, wie viele Spendeneingänge wir erzielen, aber das sind erst einmal nur Zahlen. Doch wenn ich lese, dass sich hinter jeder Spende eine Geschichte und ein Wunsch nach einer etwas besseren Welt verbirgt, dann berührt mich das auf einer ganz anderen Ebene.

 

GAL: Eines Tages wird die Vision, als die Sie das „House of One“ zu Beginn unseres Gespräches beschrieben haben, ein fertiger Bau sein. Wie wird es dann weitergehen? Wird Fundraising ab dann noch notwendig sein und Sie weiterhin ein Teil des Projektes?

SoA: Das „House of One” ist nicht nur besonders, da es eine interreligiöse Begegnungsstätte wird. Auch was die Finanzierung angeht, ist es einzigartig – in einem wesentlich profaneren Sinne. Kirchen werden zum Teil über die Kirchensteuer finanziert und haben dadurch kalkulierbare Einnahmen. Sie hängen natürlich davon ab, wieviel Kirchensteuer pro Jahr eingenommen wird, aber prinzipiell gibt es für Kirchen einen steten Geldfluss. Synagogen und Moscheen sind in der Regel als Vereine organisiert und benötigen Spenden und Mitglieder, die Beiträge zahlen. Wir müssen also auch nach der Fertigstellung des „House of One“ Geldmittel einwerben. Ich werde dem „House of One“ also erhalten bleiben. Und darüber freue ich mich sehr.

Quelle: FUNDStücke

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