FUNDStücke

Größe und Effektivität: Die Auswirkungen von Wachstum auf gemeinnützige Organisationen

Von klein zu groß und andersrum

Gemeinnützige Organisationen unterscheiden sich nicht nur in ihren Zielen und Strukturen, auch ihre Größe hat einen Einfluss darauf, wie sie arbeiten und wie sie wahrgenommen werden. Bei ihrer Entwicklung legen manche ein rasches Wachstum an den Tag, andere bleiben klein oder wachsen eher langsam. Die Größe hat Einfluss auf interne Arbeitsabläufe und externe Wirkung – und ist deshalb ein entscheidender Faktor für jede Organisation. Doch was bedeutet „klein” oder „groß” genau? Wir haben mit den jeweiligen Gründer*innen und Vorstandsvorsitzenden Katja Hintze, Stiftung Bildung und Dr. Dominik Esch, Balu und Du e.V., über die Auswirkung von Wachstum gesprochen und gelernt: Beides ist relativ.

„Wachsen des Wachsens wegen ist kein Grund. Um wirkungsvoll die gesteckten Ziele zu erreichen, muss man gerade beim Wachstum die eigene Arbeit immer kontinuierlich kritisch reflektieren”, so Katja Hintze, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Bildung.

Es gibt tausende gemeinnützige Organisationen in Deutschland. Sie verfolgen verschiedene Ziele, sind intern unterschiedlich aufgestellt und wollen die Welt um sie herum zu einem besseren Ort machen. Dabei sind sie auch unterschiedlich „groß” oder „klein”. Doch wer unterstellt, dass sie alle möglichst schnell wachsen möchten, der irrt. Denn je mehr Akteur*innen in einer Organisation mitwirken, desto eher ändern sich auch interne Abläufe – und das ist nicht immer von Vorteil.

Wachstum kann darüber hinaus ganz anders definiert werden als nur nach der Zahl der Mitarbeiter*innen, Mitglieder oder der Höhe der Spendeneinnahmen.

Der Weg zum Social Franchise

Kann man eine kleine Organisation bleiben und trotzdem im großen Rahmen wirken? Es kommt darauf an – zum Beispiel darauf, welche Strukturen für die Zielerreichung vorliegen. „In der Modellphase unseres Projekts zeigte sich, dass es über seine eigenen Projektgrenzen hinaus transportabel ist”, erläutert Esch.

Das Projekt heißt Balu und Du und er baut es als Mitgründer des gleichnamigen Vereins seit über 15 Jahren immer weiter aus. Dabei werden junge Erwachsene dazu ermutigt, die Patenschaft für ein Kind im Grundschulalter zu übernehmen. Zusammen bilden sie ein Tandem, das einmal in der Woche Zeit miteinander verbringt und zusammen verschiedenste Dinge unternimmt, beispielsweise einen Ausflug in einen Park oder zum Spielplatz. Ziel ist die Persönlichkeitsstärkung beider.

„Nachdem wir das Pilotprojekt zusammen mit der Universität Osnabrück erfolgreich begonnen hatten, kam uns die Idee, selbstständig agierende Standorte zu fördern“, erklärt Dr. Esch. „Sofort kamen uns Bildungsanbietende und Wohlfahrtsverbände in den Sinn. An Schulen und Universitäten wird Balu und Du inzwischen als Wahlfach oder Kurs angeboten. Die Projektleiter*innen sind somit die Lehrer*innen und Dozent*innen, die schon über die Länderkassen finanziert sind.”

Dominik Esch beschreibt dieses Prinzip als ,Social Franchise’. Dabei bietet sein Verein an Materialien und Konzepten alles an, was die Schulen, Universitäten und alle weiteren Teilnehmer*innen für die Durchführung benötigen. Ab dann unterstützt der Verein mithilfe eines Online-Systems ,nur noch‘ das Qualitätsmanagement. „Das geht auch ohne viele Mitarbeitende in der Verwaltung. Wir sind immer noch ein Team von derzeit zehn Leuten, obwohl wir bundesweit mit vielen Partnern agieren.” Der Verein schafft dadurch etwas, was nicht bei jeder Organisation möglich ist: groß zu werden und trotzdem eine kleine innere Struktur aufrechtzuerhalten.

Wenn Wachstum dazugehört

Sicherlich hat es seinen Charme, wenn Vereine und Stiftungen es schaffen, ihre ursprünglichen Strukturen beibehalten zu können. Große Herausforderungen und Projektvoraussetzungen brauchen jedoch mehr Ressourcen. Mit den Zielen und dem Spendenbedarf wächst auch der Organisationsaufwand, aber vor allem die gesamtgesellschaftliche Wirkung.

„Wir sind in den letzten zwei Jahren weiter gewachsen, Tendenz: steigend”, so Katja Hintze. Ihre Stiftung setzt aus den eingehenden Fördergeldern der Bundesministerien eigene Projekte um, die nicht alle „franchise-fähig“ sind. Dazu zählen Patenschaften zwischen gleichaltrigen Kindern oder das Ermöglichen der Beteiligung von jungen Menschen an politischen Entscheidungen und Prozessen, zum Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit. Sie betreibt Lobbyarbeit für bessere Bildung sowie die Förderung neuer Ideen der Bildungseinrichtungen vor Ort. Aus diesem Grund wächst der Personalaufwand.

„Aufgrund der Zahl der haupt- und ehrenamtlich Aktiven und in Bezug auf unsere Wirkung zählen wir sicher nicht mehr zu den kleinen Organisationen. Trotzdem sind wir noch eine junge, in vieler Hinsicht kompakte und agile Organisation.” In der Regel steigen mit den Ressourcen die Handlungsmöglichkeiten, aber sie bringen auch Hürden mit sich: „Wie erhalten wir unsere Organisationskultur und Werte? Wie schaffen wir bei allen Stiftungskolleg*innen ein Wirkungs- und Ressourcenbewusstsein? Wie gestalten wir gelingende Aushandlungs- und Wissenstransferprozesse?”, zählt Katja Hintze einige davon auf.

„Und das sind noch nicht alle Fragen, die uns in den Wachstumsphasen begleiten. Unser Vorhaben, beste Bildung von Kindern und Jugendlichen bundesweit zu erreichen, ist gigantisch. Die Strategie, größer zu werden, war die einzig folgerichtige”, erklärt Katja Hintze.

Die Unterscheidung ist schwierig

Spendeneinnahmen, Mitglieder, Mitarbeiter*innen, Standorte oder die Zahl der Spender*innen und nicht zuletzt die gesellschaftliche Wirkung: Um zu bewerten, ob eine Organisation groß oder klein ist, muss ein ganzes Werk an Zahlen herangezogen werden. Bei Katja Hintze und Dominik Esch kristallisiert sich heraus, dass die Auswahl individuell mit den Gesamtprojekten zu tun hat. Und diese sollen natürlich wirkungsvoll sein.

„Unser Ziel ist es, dass wir bis 2025 mit 407 Partnern zusammenarbeiten. Erfahrungsgemäß ergeben sich aus jeder Partnerschaft ca. zehn Tandems pro Jahr”, so der nächste Meilenstein von Dominik Esch. „Wir wissen allerdings, dass wir dann eine Größenordnung erreicht haben, bei der wir uns auf noch mehr Input einlassen sollten. Deshalb möchten wir einen Beirat gründen und den Aufsichtsrat verstärken.”

Diese Idee knüpft an eine Feststellung von Katja Hintze an, die der Agilität kleiner Organisation einen handfesten Vorteil des Wachstums entgegensetzt: „Mehr Köpfe in einer Organisation bedeuten zwar, dass nicht mehr alles mit einem kurzen Weg über den Flur geregelt werden kann, dafür gewinnt man neue Erfahrungen, Perspektiven und Ideen.“ Bei der Stiftung Bildung ist Wachstum für die nächsten Schritte unausweichlich: „Wir wollen mit unserem Patenschafts-Programm bundesweit 50.000 Kinder und Jugendliche erreichen und den 5,9 Mio. ehrenamtlich Engagierten in der Bildung durch verlässliche hauptamtliche Unterstützung dabei helfen, ihr volles Potenzial entfalten zu können und nicht zuletzt wesentlich mehr Spendengelder für Projektideen der Engagierten in Kindergärten und Schulen und der Kinder und Jugendlichen selbst auszugeben.“

„Kompakt” statt „klein”

Es gibt also keine präzise Definition davon, wann eine Organisation „klein” oder „groß” ist. Selbst die Tatsache, ob ein Verein regional, bundesweit oder länderübergreifend wirken möchte, bietet keinen sicheren Anhaltspunkt dafür.

Etablierte Vereine, die nur in einem bestimmten Umkreis agieren, haben oftmals wesentlich mehr Mitarbeiter*innen als bundesweit agierende Organisationen, die sich gerade erst mit einem Rumpf an Engagierten gegründet haben. Auch Balu und Du wirkt in diesem Vergleich eher überschaubar. Das bedeutet aber, dass die Vorteile beider Welten genutzt werden können.

„Wir sind bundesweit tätig, arbeiten aber fast automatisch sehr effizient, indem wir Partner befähigen sich unser Programm zu eigen zu machen, die auch überregional bekannt sind und wirken. Beispiele sind die Malteser im Erzbistum Hamburg oder die Universitäten der Bundeswehr. Soldat*innen aus ganz Deutschland, die dort studieren, bekommen so die Möglichkeit, als Balu, also Pate, Gesellschaft mitzugestalten”, erklärt Esch.

Die Beschreibung „klein” ist mit Blick auf solche Strukturen irreführend. Besser beschreibt man die Organisation als „kompakt” im Hinblick auf ihre internen Strukturen, während Wirkungsradius und Bekanntheitsgrad durchaus groß sind.

Kurze Wege, schnelles Handeln?

„Meiner Erfahrung nach ist die Zusammenarbeit einer Gruppe mit zehn Personen davon geprägt, dass jede*r alles auf dem kurzen Weg mitbekommt, alles zusammen besprochen und entschieden wird”, beschreibt Katja Hintze die Anfangszeit der Stiftung Bildung. „Geht es darüber hinaus, erfolgt eine Differenzierung und Spezialisierung. Entscheidungen werden dann von speziellen Runden, Interessierten oder Expert*innen getroffen.”

Doch bedeuten kürzere Wege immer schnelle Entscheidungen? „Das kommt auf die Entscheidung an. Da können sich große Organisationen sicher abgucken, wie zügige Kommunikation funktionieren kann. Aber wenn es um richtungsweisende Entscheidungen geht, dann brauchen wir als kompaktes Team auch schonmal ein halbes Jahr”, so Dominik Esch.

Ein ständiger Lernprozess

Wichtig sei, trotz des Wachstums eine Kultur zu bewahren, die alle Beteiligten abholt und möglichst einbeziehen kann, findet wiederum Katja Hintze: „Gerade, wenn eine Organisation wächst, ist die interne Kommunikation wichtig.” Vom Selbstverständnis her ist es für die haupt- und ehrenamtlichen Kolleg *innen der Stiftung Bildung bedeutend, sich nicht vom ursprünglichen Geist einer „Bottom-up-Bewegung” zu entfernen. Dafür ist sie beispielsweise Teil der Stiftungsinitiative #VertrauenMachtWirkung, in der sich Stiftungen zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig zu unterstützen, weiterzuentwickeln und zu hinterfragen. Wachstum ist für Katja Hintze ein ständiger Lernprozess.

Richtig wachsen

„Wenn wir uns schon mit der Gründung bundesweit aufgestellt hätten und jeden Projektstandort aus dem Verein heraus hätten organisieren wollen, dann hätte ich nun 162 Mitarbeiter*innen auf der Lohnliste”, erklärt Esch. „Stattdessen vertrauen wir unser System den Menschen vor Ort an und erfassen deren Tätigkeit vor allem über Gespräche mit ihnen sowie über Kennzahlen aus einem Online-Tagebuch-Tool. Das befähigt uns dazu, nun den nächsten internen Wachstumsschritt machen zu können, indem wir Regionalleiter*innen anstellen, die noch näher an den einzelnen Projektstandorten dran sind.”

Sein Tipp an dieser Stelle: Wenn aus wenigen Mitarbeiter*innen immer mehr werden, sollte man genau bedenken, wie man den Verwaltungsaufwand gut und effizient stemmen kann. Außerdem: Verantwortungen abgeben und überlegen, ob das eigene Modell auch mit dem Prinzip des Social Franchise funktionieren kann.

Die richtige Organisationsform

Katja Hintze empfiehlt aus ihren Erfahrungen, die eigenen Strukturen nicht als starr, sondern anpassbar anzusehen: „Seit dem Start der Stiftung Bildung mit insgesamt zehn ehrenamtlichen Kolleginnen*innen sehen wir uns als ,lernende Organisation‘, die sich im Team fortwährend an die Bedürfnisse der Haupt- und Ehrenamtlichen anpasst.” Ihr war klar, dass die Stiftung Bildung auf kurz oder lang personell wachsen muss, wenn auch mit Augenmaß.

„Deshalb wählten wir eine Organisationsform, die uns half, das Beste aus der Zeit des Anfangs mitzunehmen in die Zeit, in der wir größer werden sollten: die Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie kann stabil, unveränderbar, aber mit dem nötigen Maß an Flexibilität an die immer größer werdenden Herausforderungen angepasst werden, ohne dass der Stiftungszweck – die Grundidee – veränderbar ist. Dadurch bildet sich ein klar definierter und stabiler Korridor für die Ausgestaltung der Idee der Stiftung, Bildung für Kinder und Jugendliche immer aktuell und innovativ durch die Stärkung des Bildungsengagements zu halten.

Dominik Esch wiederum sieht im kommenden Wachstumsschritt seines Vereins große Vorteile: „Wir werden unsere internen Entscheidungsprozesse noch besser strukturieren“, erklärt er. „Vielleicht werden wir dadurch sogar noch schneller in der Aushandlung von Richtungsentscheidungen sein.“

Was genau soll wachsen?

„Stellt euch die Frage kontinuierlich: Dient das Wachstum dem Ziel, die intendierte größere gesellschaftliche Wirkung zu erzielen”, rät Katja Hintze. Sicher ist es so, dass mit der Größe einer Organisation auch der Bekanntheitsgrad und damit der gesamtgesellschaftliche Einfluss und die Spendengelder steigen.

„Wir werden als Stiftung Bildung oft verwundert gefragt, wie wir diese große gesellschaftliche Wirkung erzielen, obwohl unsere finanziellen Ressourcen proportional doch noch recht klein sind. Eine Antwort darauf ist sicher das große ehrenamtliche Bildungsengagement, welches in der Stiftung Bildung, aber auch in Kindergärten und Schulen für Kinder und Jugendliche und mit ihnen aktiv ist“, erklärt Katja Hintze.

Dominik Esch hat die Erfahrung gemacht, dass Wachstum selten einfach so geschieht. Er beruht auf einer Entscheidung, die auf Basis einer Analyse und der Formulierung neuer Ziele und Herausforderungen ausgehandelt werden muss.

Wichtig ist es, dann zu schauen, was genau wachsen soll: die Organisation oder andere Parameter, wie die Spendeneinnahmen oder die Zahl der Standorte. Dass dafür der Verwaltungsaufwand in gleichem Maße mitwachsen muss, ist niemals zwingend, aber oft notwendig.

Also: Durchatmen, nachdenken und dann erst ganz groß werden – oder eben nicht.

 

Im Gespräch

  • Dr. Dominik Esch, Gründer und Vorstand von Balu und Du e. V.
  • Katja Hintze, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Bildung

Quelle: FUNDStücke 4-2022

Autor:in