FUNDStücke

Arbeitsbelastung im Fundraising: Tipps für mehr Effizienz und Balance

Fürsorge und Selbstfürsorge für mentale Gesundheit – mehr als Worthülsen

Häufig drehen sich die Beiträge in der FUNDStücke um die Spenderinnen und Spender, um ihre Bedürfnisse und wie man ihnen gerecht wird, oder um Trends und Methoden, die die Spendeneinnahmen und die Spender*innenbeziehungen verbessern. Diese Ausgabe widmet sich vor allem den Fundraiserinnen und Fundraisern selbst – und wie es ihnen am Arbeitsplatz geht.

Die häufige Nutzung von Begriffen wie „Work-Life-Balance“ oder „Ausgleichsport“ sowie die Sehnsucht nach Sabbaticals und Auszeiten zeigen: Am Arbeitsplatz scheint irgendetwas zu passieren, was Angestellte derart belastet, dass sie langfristige negative Auswirkungen befürchten, wenn sie nicht gegensteuern.

Teilweise suchen sie regelrecht angestrengt nach Entspannung, Ruhe und Ausgleich – während auf der anderen Seite mentale Überlastung häufig als persönliche Schwäche gilt. Das Leben ist kein Ponyhof, kein Wunschkonzert und auch kein Zuckerschlecken – haben viele von uns sicher schon häufig gehört oder sich gar selbst gesagt. Übersetzt: Streng dich an, stell‘ dich nicht an, beiß‘ dich durch. In Büros steht frisches Obst bereit, es gibt Betriebssportangebote und rückenfreundliche Möbel – doch das Thema mentale Gesundheit kommt oft zu spät auf den Tisch. Welche inneren und äußeren Faktoren begünstigen mentale Probleme und welche Rolle spielen sie für Fundraiser*innen? Wie können Mitarbeiter*innen und Arbeitgeber diesen Faktoren gemeinsam begegnen?

Moderne Samariter mit Marketing-Know-how

Fundraiserinnen und Fundraiser haben selten täglich dieselben Aufgaben. Viele haben immer mehr in immer weniger Zeit zu tun. Vor allem in kleineren Organisationen ist häufig eine Person beschäftigt, die von der Strategie über die Umsetzung der Maßnahmen bis zur Betreuung von Spenderinnen und Spendern alles übernimmt.

Katja Sichtermann ist Fundraising-Beraterin bei der GFS und war vorher Geschäftsführerin des Telefon-Dienstleisters Deutscher Spendenhilfsdienst. In ihrer Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen hat sie es erlebt, dass einige alle Fundraising-Instrumente gleichberechtigt einsetzen möchten und auf möglichst schnelle Spendenergebnisse hoffen.

Die Erwartungen an die Fundraiserinnen und Fundraiser sind dabei oft unrealistisch: „Wir kennen alle Stellenausschreibungen von Organisationen, die 20 Stunden auf ein Jahr befristet anbieten und davon ausgehen, dass sie mit diesen Ressourcen ein funktionierendes Fundraising-System aufbauen können. Das wird nichts, denn Stroh zu Gold spinnen können leider auch die erfahrensten Fundraiserinnen und Fundraiser nicht“, schildert sie ihre Beobachtung.

„Einerseits sind mehr Generalistinnen und Generalisten gefragt, weil immer mehr kleine Organisationen professionelles Fundraising einführen. Andererseits gibt es bei größeren Organisationen teilweise unglaubliche Spezialisierungen in verschiedene Fundraising-Teilbereiche.“ Was alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer gemeinnützigen Organisation vermutlich gemeinsam haben, ist eine besonders hohe intrinsische Motivation, genau diesen Beruf auszuüben, bei dem sie meist weniger verdienen, als sie es in Wirtschaftsunternehmen bei vergleichbaren Aufgaben tun würden.

Bei der Recherche zu diesem Thema stoßen wir auf einen Artikel der Jobbörse monster.de aus dem Jahr 2009, der Fundraiserinnen und Fundraiser als „moderne Samariter mit Marketing-Know-how“ bezeichnet.[1] Sie geben oft 120 Prozent für den gemeinnützigen Zweck, setzen sich inhaltlich mit Umweltkatastrophen, Gewalt oder Armut auseinander und stehen mit Welthunger oder Klimawandel scheinbar unbezwingbaren Gegnern gegenüber – egal, wie gut die Spendeneinnahmen sind.

„Wer feststellt, dass er trotz aller Anstrengung nichts bewirken kann, wird früher oder später mutlos aufgeben“, stellt Katja Sichtermann fest und rät dazu, „dem entgegenzuwirken, indem man die ,mächtigen Gegner‘ nicht als Ganzes und Projekterfolge nicht als Tropfen auf dem heißen Stein betrachtet.

Kleine Schritte als Erfolge auf dem richtigen Weg zu sehen, ist dabei wichtig. Dabei sehe ich Führungskräfte in der Verantwortung, Teilerfolge im Team immer wieder positiv hervorzuheben, Mut zu machen und bei aller Ernsthaftigkeit Erfolge auch mal zu feiern.“

Wer direkt mit Menschen in Kontakt steht, beispielsweise in der Spender*innenbetreuung, ist oft belastet durch den Druck, zahlreiche Anforderungen zufriedenstellend erfüllen zu wollen. Wenn sich die Organisation mit polarisierenden Themen wie „Hilfe für Geflüchtete“ beschäftigt, setzen sich die Mitarbeiter*innen außerdem nicht selten mit Hasskommentaren oder Drohungen auseinander. Da ist Resilienz gefragt.

Katja Sichtermann vertritt die These: „Viele Fundraiserinnen und Fundraiser arbeiten oft so erfolgreich, weil sie besonders empathisch und feinfühlig sind. Gleichzeitig benötigen sie jedoch ein ,dickes Fell‘, um die Not, mit der sie tagtäglich konfrontiert sind, und den Druck der Arbeitsbelastung nicht zu nah an sich heranzulassen. Wer es nicht schafft, sich diese Schutzhülle aufzubauen, ist mit Sicherheit besonders durch Burnout und Depression gefährdet.“

Multitasking? Nicht hirngerecht.

Die Digitalisierung hat Arbeitsbedingungen grundlegend verändert. Zahlreiche Kommunikationskanäle sorgen für immer mehr Möglichkeiten der Verfügbarkeit. Damit steigt die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, und das wiederum lässt Berufs- und Privatleben immer mehr verschmelzen.

Zusätzlich steigen die Ablenkungsrate und der Druck, schnell auf mehrere Dinge gleichzeitig reagieren zu müssen.

Laut Neurobiologe Dr. Bernd Hufnagl ist das menschliche Gehirn dazu nicht gemacht. In seinem Buch „Besser fix als fertig“ erläutert er für Laien verständlich: Ein Teil des menschlichen Gehirns scannt evolutionär bedingt dauerhaft die Umgebung nach Veränderungen. Ein anderer Teil ist dafür verantwortlich, sich auf eine Sache zu konzentrieren – und zwar genau auf eine. Je mehr um einen herum geschieht, desto mehr sendet der scannende Teil an den, der sich konzentriert. Wir sind für Ablenkung wie geschaffen!

Ein amerikanisches Experiment zeigte, dass Mitarbeiter*innen eines Unternehmens eine neu eingehende Mail durchschnittlich nach zwei Sekunden öffneten – sie anschließend aber nicht unbedingt sofort beantworteten oder die darin enthaltene Aufgabe bearbeiteten. Sie widmeten sich durchschnittlich nach 17 Minuten wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe und starteten zwischenzeitlich 2,5 Aufgaben, ohne diese zu beenden.[2]

Das Gehirn gerät in einen „To-Do-Listen-Abhak-Modus“ und sehnt sich nach schnellen Erfolgen, statt sich lange auf eine Sache zu konzentrieren. So ist jede neu eingehende E-Mail oder Chatnachricht, eine Anruferin oder der Kollege, der unangekündigt ins Büro kommt, eine willkommene Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe.

Einige Arbeitsmethoden, zum Beispiel im agilen Projektmanagement, sehen Projektschritte vor, in denen Verantwortliche nur mit einer einzigen Aufgabe beschäftigt und in dieser Zeit von anderen Jobs befreit sind.

Andere Firmen bieten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kreative Pausen an, in denen sie nicht gestört werden und konzentriert an neuen Ideen arbeiten können. Auch die Tageszeit oder persönliche Umstände können den Stresspegel und damit das Wohlbefinden während der Arbeit positiv oder negativ beeinflussen.

Katja Sichtermann sieht es so: „Für die mentale Gesundheit ist es langfristig enorm wichtig, dass es gelingt, Privates und Berufliches voneinander abzugrenzen. In Zeiten von Corona und damit verbundenem vermehrten Homeoffice scheint es immer schwieriger zu werden, überhaupt mal Feierabend zu machen.“

Sie hält allerdings nichts davon, wenn Führungskräfte restriktive Maßnahmen einsetzen und beispielsweise ab einer bestimmten Uhrzeit E-Mail-Zugänge sperren oder die Mitarbeiter*innen dazu verpflichten, abends ihr Diensthandy auszuschalten, um sie so vor Überlastung zu schützen. Vielmehr sollten sie individuelle Strategien unterstützen.

„Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Familien fällt es vielleicht schwer, sich tagsüber im Homeoffice zu konzentrieren. Sie arbeiten möglicherweise abends entspannter und produktiver. Andere wiederum arbeiten auch im Homeoffice am liebsten ,nine to five‘. Wieder andere benötigen zu bestimmten Uhrzeiten länger Pausen, um dann abends wieder konstruktiv zu arbeiten“, nennt sie  diese Individualität durch die Führung ermöglicht und unterstützt werden.“

So wie die Arbeitswelt häufig mehr Flexibilität der Mitarbeiter*innen fordert, ist das auch umgekehrt notwendig. Seit März 2020 reiben sich Familien mit dem Balanceakt Homeoffice, Homeschooling und dem übrigen Alltag auf.

Katja Sichtermann wünscht sich an dieser Stelle „eine neue Haltung von Kolleginnen und Kollegen sowie von Vorgesetzten: Kein Augenrollen, wenn das Kleinkind spielend durch den Videocall huscht, Verständnis dafür, wenn sich ein Elternteil spontan um den lernenden Nachwuchs kümmert. Diese neue Offenheit sollte auch für Menschen gelten, die Angehörige pflegen oder für Singles, die sich während der Coronakrise Zuhause isoliert fühlen. Wünschenswert wäre von allen Seiten: mehr Toleranz, mehr Gelassenheit für die Belange von Kolleginnen und Kollegen.“

Umdenken erwünscht

Arbeitgeber sind laut Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet, auf die mentale Gesundheit der Belegschaft zu achten. „Und sie sollten nicht erst handeln, wenn ,das Kind in den Brunnen gefallen ist‘“, findet Katja Sichtermann.

„Die meisten Angebote kommen erst nach einer Erkrankung zum Tragen, beispielsweise betriebliches Eingliederungsmanagement. Gerade beim Thema mentale Gesundheit sind Konzepte gefragt, die vorbeugend wirken!“ Sie sieht bei vielen Organisationen Luft nach oben.

Projektmitarbeiter*innen, die beispielsweise Krisengebiete besuchen, erhalten oft Supervisionen oder Austauschmöglichkeiten untereinander. Das sollte jedoch für alle gelten.

Katja Sichtermann nennt einige Maßnahmen, die Führungskräfte für alle Mitarbeiter*innen auch mit wenig Aufwand umsetzen können: flexible Arbeitszeiten, gute technische Gegebenheiten und entsprechender Support, tagesaktuelle Updates von Vorgesetzen, Transparenz in allen Bereichen, die Möglichkeit, auch mal Arbeitsbelastung reduzieren zu können, Austausch im Team fördern, (virtuelle) Pausen und Austauschräume schaffen und aktiv anbieten, Achtsamkeitsübungen anbieten oder Mitarbeitende ermutigen, Auszeiten zu nehmen.

„Diese Ideen sind sicher nicht für jede Organisation möglich und es gibt noch viele mehr. Ziel muss es sein, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Führungskräfte für das Thema mentale Gesundheit sensibilisiert werden und dass dieses enttabuisiert wird.“

Damit deutet sie einen notwendigen Kulturwandel an. Menschen mit mentalem Stress, Burnout oder Depression sehen sich oft stigmatisiert als „krank“ oder „nicht geeignet für den Job.“ Psychische Belastungen gehören aus Sicht der Allgemeinheit oft nicht an den Arbeitsplatz, sondern gelten als private Probleme.

Selbst wenn sie berufsbedingt entstehen, werden sie eher der „nicht belastbaren“ Persönlichkeit der Betroffenen zugeschrieben, statt das komplette Umfeld mit in den Blick zu nehmen. Dabei ist es mittlerweile völlig selbstverständlich, Rückenproblemen mit Sport vorzubeugen. Meist steht außer Frage, dass bestimmte Berufe Rückenschmerzen begünstigen und nicht der Körperbau einer Person für diese verantwortlich ist. Wer körperliche Gesundheitsprobleme am Arbeitsplatz hat, scheut sich in der Regel nicht, Vorgesetzte auf geeignete Maßnahmen oder Zuschüsse für die rückenschonende Büroausstattung anzusprechen.

Bei mentalen Problemen erfordert das den doppelten Mut und ist oft begleitet von der Angst, anschließend nicht mehr als vollwertige Arbeitskraft angesehen zu werden. Dabei gilt in beiden Fällen: Nur wer früh genug handelt, kann rechtzeitig gegensteuern und langfristige Probleme verhindern.

Katja Sichtermann wünscht sich, dass Vorgesetzte „aktiv auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehen und ein offenes Ohr signalisieren. Es ist natürlich gut, wenn sie Programme und Maßnahmen zum mentalen Wohlbefinden anbieten. Jedoch sind virtuelle Pausenräume, Sport- und Entspannungsangebote oder Sorgentelefone gut gemeint, werden aber häufig von der Belegschaft nicht angenommen.“

Umso wichtiger empfindet sie die aktive Ansprache. Wie man mit mentalem Stress umgeht, ist Typsache, und die perfekte Strategie gibt es sicher nicht, steht für Katja Sichtermann fest: „Jeder und jede ist anders psychisch belastbar. Als gute Führungskraft ist es wichtig, das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesprächen zu thematisieren, sich Zeit zu nehmen – im Homeoffice mindestens doppelt so viel wie unter Bürobedingungen.

So können sie Bedürfnisse erfragen und herausfinden, welche Unterstützung jemand benötigt. Es muss absolut legitim werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz thematisieren. Fürsorge und Selbstfürsorge müssen selbstverständlich werden und dürfen keine Worthülsen bleiben.“

Ansprechpartnerin

  • Katja Sichtermann, Fundraising-Senior-Beraterin GFS

[1] https://www.monster.de/karriereberatung/artikel/fundraiser-42322, 12.3.2021

[2] ARTE Wissensmagazin x:enius: Ablenkung und Multitasking – Dr. Bernd Hufnagl, vom 11.12.2013, http://benefit.cc/neurologik/neurologik-medien/ (27.4.2021).

 

Quelle: FUNDStücke

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