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Fundraising: Zahlen, Trends und Fakten

Wie kann die Marktforschung besser werden?

Marktforschung klingt nach Wirtschaft und Wissenschaft. Doch sie ist ebenso relevant für die Zivilgesellschaft. Welche Daten werden in Deutschland erhoben, die für Fundraiserinnen und Fundraiser interessant sind? Worauf ist bei ihrer Betrachtung zu achten? Und was muss geschehen, damit die Daten immer besser werden?

Prof. Tom Neukirchen hat sich mit seiner Agentur FUNDgiver Social Marketing GmbH auf die Beratung im Bereich Marktforschung sowie die Durchführung von Spenderbefragungen und -panels spezialisiert und erläutert die Basis für erfolgreiches Fundraising: „Modernes Marketing stellt als übergeordnetes Führungsprinzip den Kunden oder die Kundin in den Mittelpunkt. Sonst produziere ich am Marktbedarf vorbei und werde scheitern. Das gilt auch für NPOs.“

Viele Organisationen werten dazu die Daten aus ihrem CRM-System beziehungsweise ihrer Fundraising-Software aus und prüfen, welche Aktionen finanziell gut oder schlecht gelaufen sind. Dementsprechend führen sie Maßnahmen weiter oder stellen sie ein. „Auf diese Weise orientieren sich Organisationen indirekt an den Bedürfnissen ihrer Spenderinnen und Spender. Das ist wirkungsvoll, um Kosten zu senken und Spenden zu steigern“, erläutert Tom Neukirchen und warnt zugleich, dass das für die Zukunft jedoch nicht ausreicht: Seit 20 Jahren sinkt in Deutschland die Zahl der Spendenden kontinuierlich und der Trend wird sich fortsetzen. Denn es sind vor allem die Alten, die spenden. Und die werden immer weniger, während aus der Generation der Babyboomer oder der Generation X deutlich weniger Spenderinnen und Spender nachrücken. Die Kosten für die Gewinnung von Neuspenderinnen und -spendern steigen und die ,natürliche Haltbarkeit‘ der Spendenden sinkt. Das heißt im Klartext: Die Rentabilität des Fundraisings ist gefährdet. NPOs müssen den Lifetime Value ihrer Spenderinnen und Spender wieder steigern.“

Die Lösung: Marktforschung

Dazu müssen sie ihre Spenderinnen und Spender und deren Wünsche kennen. Spenderbefragungen ermöglichen das auf vergleichsweise einfache Art und sind mittlerweile bei den meisten gemeinnützigen Organisationen etabliert. „Sie haben in der Regel Responsequoten von vier bis 30 Prozent“, weiß Prof. Neukirchen aus Erfahrung. „Je besser das Spendersegment, desto höher der Rücklauf. Die Ergebnisse geben eine valide Auskunft über Alter, Beruf oder Familienstand der Spenderinnen und Spender, aber auch über deren Präferenzen bei Themen und Kommunikationskanälen oder über noch zu entwickelnde Produkte.

Die Spenderinnen und Spender werden so zu ,Prosumenten‘ – eine Mischung aus Konsument und Produzent – und können mitgestalten.“ Relativ neu ist dabei die Praxis von Online-Panels, über die Organisationen ihre Spenderinnen und Spender befragen und kurzfristig Ergebnisse erhalten können.

Ebenso ist es notwendig, dass sich Organisationen mit anderen vergleichen, um zu sehen, wo sie selbst am Markt stehen und was sie noch erreichen wollen oder können. Dr. Peter Schubert arbeitet als Projektmanager für ZiviZ – ein „Think&Do-Tank des Stifterverbands, der datenbasiertes Orientierungs- und Trendwissen für die praktische Arbeit im Themenfeld Zivilgesellschaft liefert“ – wie er selbst seinen Arbeitsplatz beschreibt.

„Statistiken erlauben einen Blick über den Tellerrand hinaus, um die Stärken und Schwächen der eigenen Organisation im Vergleich zu anderen zu reflektieren“, nennt er einen Nutzen aus der Beobachtung des Marktumfelds. „Welche Segmente sprechen wir erfolgreich an und welche nicht? Wie entwickelt sich der Bekanntheitsgrad unserer Organisation gegenüber anderen? Welche gesellschaftlichen Umweltveränderungen sollten wir verstärkt in den Blick nehmen?

Ergebnisse aus der Marktforschung geben Organisationen eine Orientierungshilfe, um Entwicklungen auf dem Spendenmarkt frühzeitig zu erkennen, beispielsweise Veränderungen der bevorzugten Spendenkanäle oder der soziodemografischen Zusammensetzung der Basis der Spenderinnen und Spender.“

Er erkennt einen weiteren Vorteil: „Daten haben eine wichtige Legitimations– und Kommunikationsfunktion, beispielsweise gegenüber internen Gremien oder auch externen Stakeholdern, wie Spendenden. Ein Verständnis von Entwicklungen auf dem Spendenmarkt und in der Zivilgesellschaft macht Fundraiserinnen und Fundraiser zu kompetenten Gesprächspartnern, was im Zuge der Professionalisierung des Fundraisings zunehmend erwartet wird.“

Die Datenbasis in Deutschland – und ihre Tücken

In Deutschland gibt es verschiedene Umfragen zum Spenden- und Engagementverhalten, beispielsweise:

  • die Bilanz des Helfens (beauftragt vom Deutschen Spendenrat, durchgeführt vom Marktforschungsinstitut GfK),
  • der Deutsche Spendenmonitor (beauftragt vom Deutschen Fundraising Verband, durchgeführt von Kantar, einem Verbund von Marktforschungsunternehmen),
  • der Deutsche Freiwilligensurvey, (gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, durchgeführt vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas))
  • das sozio-ökonomische Panel (SOEP) (Infrastruktureinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung)
  • oder die Spendenstatistik des Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI).

Sie umfassen eine repräsentative Teilnehmermenge und geben Auskunft zur Zahl der Spenderinnen und Spender in Deutschland, deren Alter, durchschnittliche Spendenhöhe oder -frequenz oder präferierte Spendenkanäle und Motivation. „Jedoch variieren die Ergebnisse dieser Erhebungen im Vergleich recht stark und die Unterschiede sind auf Anhieb nicht leicht zu verstehen“, merkt Dr. Peter Schubert an.

So unterscheiden sich die Spendenquote und auch die jährliche Gesamtspendensumme in den Ergebnissen erheblich. Für das Jahr 2017 gab beispielsweise der Deutsche Spendenmonitor ein Spendenvolumen von 3,7 Milliarden Euro an, während das sozio-ökonomische Panel 9,8 Milliarden Euro auswies.

Karsten Schulz-Sandhof: Wie viel wird in Deutschland gespendet – 4 oder 8 Milliarden Euro?, Maecenata Observatorium. Analysen, Positionen und Diskurse zu Zivilgesellschaft, Engagement und Philanthropie, Nr. 17, November 2017. Und: Zbignev Gricevic, Karsten Schulz-Sandhof, Jürgen Schupp: Spenden in Deutschland – Analysen auf Basis des SOEP und Vergleiche mit anderen empirischen Studien, in: SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research 1074-2021.

Unterschiede in der Erhebung und im Inhalt:

Das lässt sich auf unterschiedliche Methodiken in der Erhebung zurückführen, erklärt Dr. Peter Schubert. So nutzen die Studien verschiedene Erhebungsinstrumente (schriftlich, persönlich, telefonisch) und das Alter der jüngsten Befragten schwankt ungefähr zwischen zehn und 18 Jahre.

Auch die inhaltlichen Fragestellungen weichen voneinander ab. „So fragt beispielsweise die Bilanz des Helfens nach ,Spenden an (Hilfs-)Organisationen‘ und der Freiwilligensurvey nach Spenden ,für soziale oder gemeinnützige Zwecke‘“, erläutert Schubert. „Letzterer erfasst also auch Spenden im informellen Raum, die nicht direkt an Organisationen gehen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die auf Basis des Freiwilligensurveys berechnete Spendenquote deutlich höher ausfällt.“

Einzuplanen sind auch Verzerrungen durch unrichtige Angaben, wenn beispielsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgrund sozialer Erwünschtheit höhere Spendensummen angeben, die nicht der Realität entsprechen. Ebenso schließen beispielsweise die Erhebungen von Kantar und GfK Großspenden komplett aus und auch Vermächtnisse sind nicht erfasst, da nur Lebende befragt werden können.

Datenlage in Organisationen unzureichend

Statt die Bevölkerung zu fragen, scheint es zur Erhebung reiner Zahlen naheliegend, die Spendendaten der Organisationen auszuwerten und auf diese Weise einen realistischen Überblick über Zahl der Spenderinnen und Spender oder die Spendenhöhe zu gewinnen. „Im internationalen Vergleich haben wir in Deutschland eine schlechte Datenlage, erklärt Dr. Peter Schubert und begründet das mit fehlenden Offenlegungspflichten.

„Anders ist das zum Beispiel in den USA, wo für jede gemeinnützige Organisation detaillierte Informationen zu den Aktivitäten, Finanzen oder Gehältern über öffentlich einsehbare Steuerformulare zugänglich sind. In Deutschland sind wir auf freiwillige Selbstverpflichtungen von Organisationen oder Ergebnisse aus Befragungen angewiesen.“

Ein Mangel am Repräsentavität:

Eine verlässliche Datenquelle könnte die Lohnsteuerstatistik in Deutschland sein, meint Tom Neukirchen, relativiert aber sofort: „Die Daten dazu liegen immer erst vier Jahre später vor. Und es fehlen Beträge, die bei der Steuer nicht angegeben werden, beispielsweise Kollekten, aber auch alle Spenden von Rentnerinnen und Rentnern, die keine Steuererklärung machen – und das sind sehr viele.“

Werden Daten direkt von Organisationen erhoben, mangelt es oft an Repräsentativität, bedauert Dr. Peter Schubert: „So sammelt das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen im Zuge der Spendensiegel-Vergabe Daten zu den Finanzen Spenden sammelnder Organisationen. Dabei handelt es sich allerdings um circa 230 Organisationen – ohne Repräsentativität für die über 600.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland. Auch die Initiative Transparente Zivilgesellschaft hat mit rund 1.500 unterzeichneten Organisationen eine vergleichsweise geringe Reichweite.“

Eine gewisse Unschärfe bleibt weiterhin:

Ein umgekehrtes Beispiel kennt er aber auch: „Der ZiviZ-Survey erfasst als repräsentative Wiederholungsbefragung gemeinnütziger Organisationen allgemeine Strukturdaten. Das Thema Fundraising konnte dort aufgrund der Vielfalt an Themen bislang allerdings nicht detailliert abgebildet werden.“ In Aachen hat die GRÜN Software Group den GRÜN Data Monitor ins Leben gerufen: Kunden, die die Fundraising-Software aus dem Unternehmen nutzen, können auf Wunsch ihre Daten anonymisiert in einen Daten-Pool einspielen lassen, der anschließend tagesaktuelle Kennzahlen aller teilnehmenden Organisationen liefert. Theoretisch umfasst der Monitor rund 1.000 Organisationen und über eine Milliarde Euro an Spenden – wenn alle Kunden teilnehmen.

Tom Neukirchen sieht die Unzulänglichkeiten der Marktforschung insgesamt nicht nur als Problem, sondern auch als Herausforderung, besser zu werden und ist positiv gestimmt: „Wir müssen in der Marktforschung leider immer mit einer gewissen Unschärfe leben. Aber ohne sie hätten wir ein noch unschärferes Bild des Spendenmarkts.“

Wenig erforscht: Nicht-Spendende

Den Anteil der Nicht-Spender:innen gibt Tom Neukirchen mit rund zwei Drittel an, da die Quote der Spender:innen je nach Erhebung von 39 bis 25 Prozent variiert. Er zieht daraus die wichtige Information: Die Menschen, die nicht spenden, sind in der Mehrheit. Daher scheint es paradox, dass die Motivation von Spenderinnen und Spendern relativ gut erforscht ist, nicht jedoch die Gründe, warum Menschen es nicht tun. Er selbst ist gerade dabei, Lücken in der Nicht-Spender-Forschung zu schließen und vermutet: „Die meisten Nicht-Spender:innen tragen die Spenden-Motive in sich und haben genug Geld, um zu spenden. Aber sie tun es nicht, weil sie durch zu teure Give Aways, zu wenig Wirkungsberichte oder aus anderen Gründen von einer Organisation enttäuscht wurden.

Der blinde Fleck

Andere glauben nicht daran, dass NPOs erfolgreich helfen können oder sollten, weil sie den Staat für die Lösung gesellschaftlicher Missstände in der Verantwortung sehen. Und dann gibt es auch noch diejenigen, die sich lieber aktiv einsetzen, statt Geld zu geben. Da haben wir durchaus einen blinden Fleck in der Forschung: Die Nicht-Spender:innen registrieren wir nicht.“ In diesem Bereich sieht Neukirchen ganz besonderen Forschungsbedarf, denn die rund zwei Drittel der Menschen, die nicht spenden, sind für Spenden sammelnde Organisationen das größte philanthropische Potenzial in Deutschland.

Forderung für die Zukunft: verlässlichere Zahlen

Damit Gemeinnützige in Zukunft eine immer bessere Datengrundlage erhalten, braucht es finanzielle Mittel, erklärt Dr. Peter Schubert: „Daten mit Aussagekraft über Trendentwicklungen setzen in der Regel aufwendige Längsschnitterhebungen voraus, also repräsentative Befragungen zu mehreren Zeitpunkten. Qualitativ hochwertige Daten zur Zivilgesellschaft werden in Zukunft somit davon abhängig sein, inwiefern staatliche und nicht-staatliche Akteur:innen eine Bereitschaft zeigen, Grundlagenforschung zur Struktur der Zivilgesellschaft und des Engagements zu finanzieren.“

Weiterhin ist aus Sicht der Experten vor allem eines wichtig: Kooperation. „Meines Erachtens müsste man Forschung bündeln und nicht parallel Ähnliches beauftragen“, stellt Neukirchen fest. „Und vor allem sollte man mehr auf dezentrale, online- und crowdbasierte Forschung bauen, bei der beispielsweise mehrere Organisationen parallel ihre Spenderinnen und Spender zum gleichen Thema befragen – und daraus ein großes Ganzes entstehen lassen.“

Initiative zur Förderung von datengetriebenem Fundraising

Ende 2021 hat Prof. Neukirchen zusammen mit Oliver Krems die DFRV-Fachgruppe Marktforschung und Zivilgesellschaftsdaten gegründet. Dort können sich Interessierte über Chancen von Marktforschung informieren und sich austauschen. Sie hoffen, damit immer mehr Organisationen für das Thema zu begeistern und vor allem, gemeinsam neue Wege zu finden, im Bereich Marktforschung zusammenzuarbeiten.

Für Dr. Peter Schubert haben die verschiedenen Erhebungen und das Fortbestehen der Methodenvielfalt durchaus ihre Daseinsberechtigung. Es gibt kein richtig und kein falsch: Unterschiedliche Erhebungsinstrumente und -methodiken sind als komplementär zueinander zu betrachten. Sie ermöglichen ein differenzierteres Bild des Spendenmarkts.

Allerdings, so räumt er ein, „sollten diese methodischen Unterschiede für Dritte kontextualisiert werden. Und der Austausch zwischen Daten sammelnden Institutionen muss gefördert werden, um verschiedene Erhebungsinstrumente zu harmonisieren und gegebenenfalls konträre Ergebnisse aufzuzeigen und zu diskutieren. Ebenso sollten Institutionen bei der Kommunikation ihrer Ergebnisse proaktiv Verbindungslinien und Unterschiede zu anderen Studien herstellen.

Mehr Zusammenarbeit

ZiviZ hat vor einigen Jahren das Forum Zivilgesellschaftsdaten eingerichtet, in dem sich Daten sammelnde Institutionen über ihre Forschungsaktivitäten austauschen, Synergien entdecken und die Qualität ihrer Daten gemeinsam weiterentwickeln können.

Es gibt also viel zu tun und es gilt in den kommenden Jahren, das Verständnis für die Bedeutung von datengetriebenem Fundraising zu verbreiten. Je mehr Organisationen zusammenarbeiten, sich austauschen und sich an Lösungen zur Verbesserung der Datenlage in Deutschland beteiligen, desto eher können alle von den Ergebnissen profitieren. Prof. Tom Neukirchen ist guter Dinge und weiß: „Wir müssen besser werden. Und Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung.“

Im Gespräch

  • Tom Neukirchen, Fundgiver Social Marketing GmbH
  • Peter Schubert, Projektmanager ZiviZ gGmbH

Quelle: FUNDStücke

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