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Bürgerstiftungen: Der Ednannia-Hilfsfonds

Als im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, hat die Stiftung Aktive Bürgerschaft in kurzer Zeit einen Hilfsfonds für die Bürgerstiftungen vor Ort eingerichtet. Die schnelle Hilfe war unter anderem durch die bestehende internationale Vernetzung möglich.

 

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft fördert vor allem in Deutschland das bürgerschaftliche Engagement. Bernadette Hellmann verantwortet als stellvertretende Geschäftsführerin die Geschäftsbereiche Bürgerstiftungen und Förderpartnerschaften und präzisiert: „Mit unserem Programm ,Bürgerstiftungen‘ stärken wir ebendiese an 420 Orten als Mitmach-Stiftungen und unterstützen sie in ihren Managementaufgaben, bei Projekten und bei der Gewinnung von Stifterinnen, Spendern und Ehrenamtlichen. Mit dem Service-Learning-Programm ,sozialgenial‘ führen wir außerdem Schülerinnen und Schüler herkunfts- und bildungsunabhängig an Engagement heran.“

 

Internationale Vernetzung

Seit 20 Jahren beschäftigt sich Bernadette Hellmann mit Bürgerstiftungen und Philanthropie und hat international unter anderem in den USA bei der Greater Washington Community Foundation gearbeitet, einer der größten US-Bürgerstiftungen, und als International Fellow am Center on Philanthropy and Civil Society in New York zum Kapitalaufbau von Bürgerstiftungen geforscht. Sie ist daher international gut vernetzt und weiß um die Bedeutung des Austauschs über Landesgrenzen hinweg.

„Bürgerstiftungen und Service Learning haben sich von Nordamerika aus international verbreitet. Diese Modelle an unseren Kontext anzupassen ist wichtig, aber auch der internationale Austausch bereichert unsere Arbeit. Daher sind wir Mitglied der Worldwide Initiative for Grantmaker Support, einem internationalen Netzwerk von Support-Organisationen für Bürgerengagement“, erläutert sie.

„Über die European Community Foundation Initiative und mein internationales Netzwerk tauschen wir uns regelmäßig mit Bürgerstiftungen und Support-Organisationen in anderen Ländern aus. Wir beteiligen uns auch am internationalen Diskurs über Zivilgesellschaft, zum Beispiel beim WINGS-Austauschprogramm oder mit Beiträgen in Publikationen wie der International Encyclopedia of Civil Society.“

 

Bürokratieaufwand verringern

Bei der Frage nach der Kultur des Gebens im internationalen Vergleich bewertet sie die Rahmenbedingungen für eine aktive Zivilgesellschaft in Deutschland als gut. „Wir leben in Wohlstand, der privates Engagement von Menschen und Unternehmen möglich macht, und in einer Demokratie, in der das politisch gewollt und gefördert wird. Wir haben eine lange Tradition des Engagements mit über 600.000 Vereinen und 25.000 rechtsfähigen Stiftungen.“

Doch sie sieht auch Verbesserungsmöglichkeiten: „Damit sich künftig noch Menschen aktiv einbringen, sollten Staat und Politik viele gesetzliche Regelungen vereinfachen, transparenter gestalten und flexibler anwenden. Wir haben zum Beispiel die ehrenamtlichen Vorstände der Bürgerstiftungen nach ihrem Bürokratieaufwand gefragt: Bis zu zwei Drittel ihrer Engagement-Stunden wenden sie für Bürokratie auf, beispielsweise das Transparenzregister, die DSGVO oder Steuerfragen.“

Sie wünscht sich „dringend weniger Bürokratie und mehr Pragmatismus. Wir registrieren auch, dass die internationale Diskussion über Shrinking Spaces, also sich verengende Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft, auch in Deutschland geführt wird. Zu viel Bürokratie und zu wenig frei verfügbare finanzielle Mittel schränken die Handlungsoptionen von Vereinen und Stiftungen ein.“

 

Internationaler Austausch ist wichtig

Den Austausch mit Menschen oder Organisationen, die mit unterschiedlichen politischen oder geografischen Rahmenbedingungen an ähnlichen Themen arbeiten, empfindet Bernadette Hellmann als sehr wichtig, um die Zivilgesellschaft zu stärken: „Der Blick über den Tellerrand hilft, die eigenen Erfahrungen und Kenntnisse zu hinterfragen und neue Lösungen zu entwickeln.“

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft hat beispielsweise vor vielen Jahren die kanadischen Bürgerstiftungen besucht, berichtet sie: „Von dort haben wir die Idee des Kapitalaufbaus über Stiftungsfonds mitgebracht, also über namens- oder zweckgebundene Zustiftungen, und unterstützen die Bürgerstiftungen bei der Umsetzung. Bis dahin hatten die meisten Bürgerstiftungen ihren Stifter:innen die sehr viel aufwendigeren Treuhandstiftungen angeboten. Inzwischen verwaltet rund ein Drittel der Bürgerstiftungen Stiftungsfonds und wächst darüber besonders erfolgreich.“

Ebenso wichtig und auch selbstverständlich empfindet sie die internationale Solidarität. Als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, hat die Stiftung Aktive Bürgerschaft innerhalb weniger Tage zahlreiche Hilfsangebote von deutschen Bürgerstiftungen, Genossenschaftsbanken und anderen Partnern erhalten. Sie alle wollten über die ukrainischen Bürgerstiftungen die Zivilgesellschaft vor Ort stärken.

„Bürgerstiftungen kennen sich in ihrer Stadt oder Region gut aus und können mit ihrem breiten Stiftungszweck auch in Krisen schnell handeln“, erklärt sie das Anliegen. „Die Situation war zu Kriegsbeginn unübersichtlich und die wenigsten hatten direkte Kontakte vor Ort. Wir wussten, dass es in der Ukraine rund 30 Bürgerstiftungen gibt. Es gab aber keine Möglichkeit, aus Deutschland direkt an sie zu spenden, die Mittelverwendung sicherzustellen oder eine Zuwendungsbestätigung zu erhalten.“ So haben sich die Partner an die Stiftung Aktive Bürgerschaft gewandt, statt direkt an ukrainische Projekte oder internationale Hilfsorganisationen zu spenden.

 

Hilfsfonds für die Ukraine

Neben den zahlreichen Anfragen war es für Bernadette Hellmann ein persönliches Anliegen, die ukrainischen Bürgerstiftungen zu unterstützen. Privat hat sie dies durch eine Wohnzimmerspende im Freundes- und Bekanntenkreis getan. Außerdem erreichte sie kurz nach Kriegsbeginn über eines ihrer internationalen Netzwerke der Hilferuf von ISAR Ednannia, einer Organisation, die ukrainische Bürgerstiftungen unterstützt und vor Ort humanitäre Hilfe leistet.

„Gemeinsam mit Ednannia und der Maecenata Stiftung haben wir Ende März 2022 den Ednannia-Hilfsfonds gestartet. Spenden werden über das Transnational-Giving-Programm der Maecenata Stiftung rechtssicher an Ednannia überwiesen und bedarfsgerecht an die Bürgerstiftungen weitergegeben“, beschreibt Bernadette Hellmann den Prozess.

„Die ukrainischen Bürgerstiftungen haben vor dem Krieg beispielsweise Projekte in der Stadtentwicklung, Bildung, Jugend oder Kultur gefördert. Mit Kriegsbeginn hat sich über Nacht der Bedarf verändert und die Bürgerstiftungen helfen da, wo es am nötigsten ist. In der West- und Zentralukraine versorgen viele von ihnen Geflüchtete aus dem Osten des Landes“, erläutert Hellmann die Anpassungsfähigkeit der Bürgerstiftungen.

Als konkrete Beispiele nennt Sie: „Die Bürgerstiftung Vinnytsya versorgt Geflüchtete mit Essen, Medizin, Hygieneartikeln und Kleidung und organisiert Hilfstransporte in die Ostukraine. In Poltava hat die Bürgerstiftung medizinische Ausstattung für ein Kinderkrankenhaus beschafft, das hunderte geflüchteter Kinder versorgt.

Auch in belagerten und besetzten Städten in der Ostukraine sind die Bürgerstiftungen aktiv. In Cherson unterstützt eine solche besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen wie kinderreiche Familien und Menschen mit Behinderung finanziell und mit Hilfsgütern. Die Bürgerstiftung Sumy stellt Medizin und Lebensmittel bereit und versorgt die Bevölkerung mit verlässlichen Informationen.“

Über den Ednannia Hilfsfonds können Menschen aus Deutschland rechtssicher spenden und sicher sein, dass ihre Unterstützung in den ukrainischen Regionen so eingesetzt wird, wie sie die Menschen dort jeweils benötigen.

 

Im Gespräch

  • Bernadette Hellmann, stv. Geschäftsführerin der Stiftung Aktive Bürgerschaft

 

Quelle: FUNDStücke 3-2022

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