FUNDStücke

Was stärkt die Zivilgesellschaft in Ausnahmesituationen?

Wenn der Staat durch innere oder äußere Einflüsse ins Wanken gerät, dann ist es vor allem das Engagement gemeinnütziger Organisationen und ziviler Personen, das die Gesellschaft zusammenhält. Auch während des Kriegs in der Ukraine sehen wir diesen Effekt. Was passiert  mit der Zivilgesellschaft in Krisensituationen? Und wie stärkt man sie, damit sie krisenfest ist?

Beispiel aus der Ukraine

Astrid von Soosten hat als Partnerin bei Brakeley Fundraising Consultants in ihrer 25-jährigen Karriere schon einige internationale Erfahrungen gesammelt und ist der Meinung, „dass nichts die Zivilgesellschaft in einer entwickelten Wirtschaft so zusammenbringen kann wie eine große Krise“. Natürlich wünscht sie diese niemandem, beobachtet aber auch: „In den hochentwickelten konsumgetriebenen Industriegesellschaften haben wir verlernt, was es heißt, zusammenzustehen und sich gemeinsam aus der Not zu erheben. In Deutschland beispielsweise erspart uns die großzügige Handhabung der Steuergelder die Notwendigkeit, in Solidarität zusammenzustehen. Auf Dauer führt das paradoxerweise zu der gesellschaftlichen Polarisierung, die wir gerade erleben. Geld wird gedruckt und gleichzeitig entwertet. Das trifft vor allem die gesellschaftlichen Schichten, die weniger davon haben. Die Ukraine liefert uns ein Beispiel dafür, wie es anders gehen kann.“

Die Zivilgesellschaft vor dem Krieg

In den früheren Staaten des Warschauer Pakts konnte sich die Zivilgesellschaft über Jahrzehnte nicht maßgeblich weiterentwickeln. Die Politik machte eine private Kultur des Gebens überflüssig und verbot die Etablierung von Organisationen, die nicht im Dienst des Sozialismus und der kommunistischen Partei standen. In der Ukraine wächst seit einigen Jahren das Engagement der Zivilgesellschaft und damit auch die Fundraising-Landschaft. Astrid von Soosten und Wiebke Doktor, Geschäftsführerin des Conversio Instituts, waren im Jahr 2020 zu Gast in der Hauptstadt Kiew, um jungen Fundraiser*innen in einem Workshop moderne Fundraisingmethoden näherzubringen: „Die ukrainischen Fundraiser*innen stellten uns eine Reihe von Grassroots-Operationen und Beispiele von Social Business vor. Das hat uns stark berührt, da sie unter sehr widrigen Umständen arbeiten mussten“, erklärt Astrid von Soosten. Die Korruption in der Ukraine sieht sie als Hemmschuh für die Entwicklung stabiler Strukturen in der Zivilgesellschaft. „Bei aller Sympathie für die Ukraine: Es hilft alle Philanthropie der Welt nicht dabei, diese Strukturen zu durchbrechen“, mahnt sie. „Es wird aus meiner Sicht immer bedeutender, Geldströme und ‚Beneficial Ownership‘, wie Transparency International das nennt, sichtbar zu machen, Lieferketten zurückzuverfolgen und es als Handel treibende Gesellschaften nicht mehr zu akzeptieren, dass am Ende einer wirtschaftlichen Kette Ausbeutung, Zwang oder Unterdrückung jedweder Form steht.

Die Not der heutigen Gesellschaften besteht meines Erachtens darin, dass sie keinem moralischen Imperativ mehr verpflichtet sind. Das fördert Oligarchien und führt zu den Zuständen in der Ukraine, aber auch an anderen Orten in der Welt.“ Wiebke Doktor betont ebenfalls die positive Einstellung der Engagierten vor Ort, die sie trotz aller Widrigkeiten beibehalten: „Die Organisationen haben viel unbearbeitetes Terrain vor sich, viele soziale Themen sind wenig bearbeitet. Es bieten sich viele Möglichkeiten, aber wenig Sicherheit. Es gibt beispielsweise keine breite Mittelschicht, weshalb man vermehrt auf Unternehmensspenden setzen muss. Viele Fördermittel kommen aus dem Ausland, und im Land selbst bildet sich nur langsam das Bewusstsein dafür, sich für die soziale Weiterentwicklung einzusetzen. Trotzdem sind wir in Kiew auf motivierte und engagierte junge Menschen getroffen.“ Astrid von Soosten bestätigt: „Unser Eindruck war der einer Gesellschaft im Aufbruch zu besseren Zeiten. Umso schmerzhafter ist es, ohnmächtig diesen völlig sinnlosen Krieg mit anzuschauen.“

„Unser Eindruck war der einer Gesellschaft im Aufbruch zu besseren Zeiten. Umso schmerzhafter ist es, ohnmächtig diesen völlig sinnlosen Krieg mit anzuschauen.“

Geldspenden bevorzugt

Imke Hansen von der Organisation Libereco – Partnership for Human Rights arbeitet in der Ukraine und erlebt den Krieg vor Ort. Sie betont, dass sich während des Kriegs in der Ukraine die Improvisationsfähigkeit, Entschlossenheit und Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft zeigt und berichtet: „Viele ukrainische Organisationen waren schnell handlungsfähig, weil sie Erfahrungen mit dem Krieg haben, der de facto schon 2014 mit dem Angriff auf die Ostukraine und der Annexion der Krim angefangen hat.“ Doch unabhängig davon, wie resilient zivil gesellschaftliche Strukturen einer Krise begegnen: Ein Krieg ist eine absolute Ausnahmesituation, die alle staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen belastet. Auch gemeinnützigen Organisationen sind bei der Versorgung der Menschen die Hände weitgehend gebunden, wenn Bomben einschlagen und Straßen nicht mehr passierbar sind. Spenden sind in dieser Situation wichtig. „Geldspenden sind vorzuziehen, um zum Beispiel Fahrzeuge zu kaufen, die für den Transport von Medikamenten, Lebensmitteln und Menschen benötigt werden. Kleiderspenden blockieren oft wichtige Versorgungswege und machen den Kräften vor Ort viel Arbeit. Wichtig ist, dass die Geldspenden bei NGOs landen, die direkten Zugang haben, selbst oder durch Kräfte vor Ort, um effizient eingesetzt zu werden“, erklärt Wiebke Doktor.

 

Im Gespräch: 

Imke Hansen, Mitarbeiterin der ukrainischen Organisation Vostok SOS und der schweizerischen Organisation Libereco

Wiebke Doktor, Geschäftsführerin Conversio Institut

Astrid von Soosten, Partnerin bei Brakeley Fundraising Consultants, Vorstandsmitglied bei Certified Fundraising Executives (CFRE)

FUNDStücke 2022-02

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