Fördermittel von Stiftungen sind neben Spenden die Haupteinnahmequelle gemeinnütziger Organisationen. Die Anträge sind häufig umfangreich. Doch wie hat sich die Förderlandschaft durch die Krisen in den letzten Jahren verändert? Wir haben mit Kirsten Wagner, Geschäftsführerin der NORDMETALL Stiftung, darüber geredet.
Dem allgemeinen Vorwurf, dass Stiftungsarbeit bürokratisch und nicht schnell Handlungsfähig ist, tritt Frau Wagner direkt und klar entgegen: „Das mag für einige gelten, aber längst nicht für alle. In Stiftungen arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter agil, flexibel und reflektieren ihre Förderprozesse“, klärt sie auf. „Aber natürlich gibt es feste Gremiensitzungen, bei denen über große Projekte beschlossen wird.“
Also gibt es keine überbordende Bürokratie, keine fehlende Flexibilität bei der Förderung durch Stiftungen? Wohl nicht durchgängig, denn „die“ Stiftung existiert natürlich nicht. Bei Frau Wagner und der von ihr geführten Stiftung herrscht zunehmend mehr Mut- und Experimentierfreude für neue Antrags- und Förderformate. Auch die gesamte Stiftungslandschaft wurde durch die Geschehnisse der letzten Jahre gefordert.
Stiftungen und Krisen
„Als Stiftung sehen wir uns in der Verantwortung, unseren Förderpartner:innen in Ausnahmesituationen zur Seite zu stehen“, erklärt sie. „Besonders während der Coronapandemie oder seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist aufgefallen, dass es viele Stiftungen so sehen, sich zusammenschließen und schnell möglichst unbürokratisch helfen.“
Die Digitalisierung vieler Organisationen stagnierte seit Jahren, plötzlich wurde sie essenziell, um den Regelbetrieb aufrechterhalten zu können. „Durch ein Sonderbudget und einen anderen Antragsprozess, dessen Basis ein persönliches Gespräch und ein Kurz-Text mit Foto war, konnten wir den Aufwand für alle Seiten verringern und schnell unterstützen.“ Dabei ging es vor allem um Projekte, die jungen Menschen im Lockdown Orientierung boten und Lehrkräfte entlasten sollten
Stiftungsarbeit verändert sich
Eine neue Perspektive auf die eigene Arbeit und den Umgang mit geförderten Organisationen zu erlangen, ist für Kirsten Wagner eine wichtige Entwicklung der letzten Jahre. „Generell würde ich sagen, dass Stiftungen selbstkritischer geworden sind und ihr Handeln mehr hinterfragen. Sie stellen sich Fragen dahingehend, wie sie wirksamer, nachhaltiger und längerfristig fördern können und dabei auf Augenhöhe mit den Förderpartner:innen bleiben.“
Ein systemimmanentes Machtgefälle zwischen Fördernden und Geförderten kann man nicht wegdiskutieren oder aufheben, gibt sie zu verstehen, aber „dieser Macht sollten sich Stiftungen bewusst werden und mit einer vertrauensvollen Haltung reagieren. Nur in fairen und wertschätzenden Beziehungen kann man gemeinsam wirken und voneinander lernen.“
Sie verweist auf die Initiative #VertrauenMachtWirkung, in der die Mitglieder unterschiedlicher Stiftungen über die Zukunft der Stiftungslandschaft diskutieren. Grundlage sind neun ausformulierte Thesen. Diese lauten beispielsweise „Stiftungen der Zukunft hören zu“ oder „Stiftungen der Zukunft geben mehr als nur Geld“.
Förderpartner: neuer Umgang
Auch der direkte Umgang in Förderbeziehungen hat sich ihrer Meinung nach verändert: „Die Kommunikation zwischen Fördernden und Geförderten ist in den letzten Jahren lockerer geworden. Da haben auch die unzähligen Videokonferenzen zu beigetragen“, erklärt Kirsten Wagner. „Die Förderpartner und wir haben uns buchstäblich gegenseitig in die Wohnzimmer geschaut.“
Eine neue Erfahrung, die wohl auch in der Breite gemacht wurde: Dass ab und zu eine Katze durch das Bild läuft oder das Kind in das Arbeitszimmer platzt, führt zu einer neuen Sicht der beteiligten Personen aufeinander – das Menschliche wird noch deutlicher.
„Außerdem wussten wir alle ja in der Krise oft nicht, wie es weitergeht. Aufgrund der kollegialen und lockereren Kommunikation konnten wir jedoch schnell reagieren, umplanen und nachschärfen.“ Der Handlungsdruck führte dazu, dass viele Beteiligte ihren Perfektionswunsch abgelegt und auch mit Beta-Versionen von Anträgen gearbeitet haben. Es stellte sich ein immer vertrauteres Miteinander ein, das, so Kirsten Wagner, allerdings auch schon vorher mit vielen Partner:innen bestand.
„Daneben haben wir in der Corona-Krise das Fördervolumen um 20 Prozent erhöht. Auch wenn wir natürlich selbst zusehen müssen, dass wir eine Rücklage bilden, um die Leistungsfähigkeit der Stiftung zu erhalten.“
Leitfaden für Stiftungen
Damit solche Prozesse auch umgesetzt werden können, ist für Kirsten Wagner das Mindset der Stiftungsmitglieder entscheidend – gerade in Krisenzeiten. „Wer schnell handeln und aus den eingespielten Arbeitsabläufen ausbrechen möchte, bei dem darf das eigene Ego nicht im Weg stehen. Das Ziel muss immer sein, auf konkrete Bedürfnisse und Nöte einzugehen und dabei die Balance aus langfristiger Wirkung, aber auch kurzfristiger Hilfe zu finden,“ erklärt sie.
Ein solches Credo ist dynamischer, als Stiftungen oft auf Hilfsorganisationen wirken, die sich lange Zeit einem starren System von Anträgen, Fristen und Wartezeiten ausgesetzt sahen. Kirsten Wagner nimmt eine neue Haltung in der Stiftungswelt wahr, freimütiger über Probleme und Herausforderungen – innerhalb und außerhalb der Stiftungen – zu sprechen.
„Die Initiative #ImpluseStiften ist ein gutes Beispiel für diese neue Einstellung. Was ursprünglich als eine Art Selbsthilfegruppe von Förderstiftungen auf Initiative von Dr. Karsten Timmer (panta rhei Stiftungsberatung), Felix Dresewski (Kurt und Maria Dohle Stiftung) und Stephanie Reuter (Rudolf Augstein Stiftung) im März 2020 begann, hat sich zu einem etablierten Online-Format entwickelt“, erzählt Kirsten Wagner.
„Bis zu 100 Kolleginnen und Kollegen aus Stiftungen und NPOs schalten sich regelmäßig in 60-minütige Calls und diskutieren über verschiedene Themen. Wir wollen das Wissen des Sektors aktivieren und einen niedrigschwelligen Austausch über Länder und Sektorgrenzen hinweg ermöglichen.“ Der Webtalk soll den Beteiligten neue Perspektiven zeigen und Ideen geben, mit denen sie sich weiterentwickeln können.
Seit September 2022 gibt es sogar einen Leitfaden, der aus der Kollaboration von ursprünglich 30 Mitarbeiter:innen einer deutschen und einer Schweizer Stiftung heraus entstanden und kostenlos online unter weniger-ist-mehr.de abrufbar ist. Er dient Stiftungen als Hilfsmittel, um ihre internen Prozesse und ihr Selbstverständnis an die modernen Herausforderungen anzupassen.
Stiftungswesen wird digitaler
Nicht nur eine veränderte Haltung gegenüber Herausforderungen und Projektpartner:innen haben dazu beigetragen, dass Stiftungen inzwischen flexibler und schneller reagieren können – was auch den Geförderten zugutekommt. „Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen ist deutlich konsequenter geworden, auch wenn mobiles Arbeiten bei der NORDMETALL Stiftung schon vor den Lockdowns gut eingerichtet war.“
Trotz der Fortschritte in der Digitalisierung soll nicht alles bei der NORDMETALL Stiftung weiterhin im Krisenmodus bleiben. Gerade im Stiftungswesen und im Austausch mit NGOs schätzt sie den direkten Kontakt der Menschen untereinander als unerlässlich ein: „Das Wertvolle der digitalen Zusammenarbeit erhalten und gleichzeitig die Bedeutung von Begegnungen und realem Erleben unterstreichen“ ist die Mischung, die sie forciert.
Für die Zukunft sieht sie Herausforderungen in der Vereinfachung der Antragsprozesse für NPOs und die Entbürokratisierung der Anforderungen an Stiftungen. Ihr Wunsch ist es, „dass Stiftungen und Förderpartner:innen neugierig sondieren, wie wir gemeinsam konstruktiv und kollaborativ wirken können.“
Im Gespräch
- Kirsten Wagner, Geschäftsführerin der NORDMETALL Stiftung, engagiert im Bundesverband deutsche Stiftungen, Co-Host des Webtalks #ImpulseStiften
Quelle: FUNDStücke 3-2022