Fundraising International beschäftigt sich diesmal mit einer Entwicklung, die von der Corona-Pandemie profitiert hat.
Corona und kein Ende: Als der erste Lockdown vor gut einem Jahr im Frühjahr 2020 begann, wusste noch niemand genau, was da auf Wirtschaft und Gesellschaft zukommen würde. Auch die Fundraisingbranche verharrte – wenn auch nur kurz – in Schockstarre: Würden die Spendeneinnahmen in der Krise, die ja immerhin eine weltweite war und ist, dramatisch einbrechen? Diese Befürchtungen, die nicht wenige zunächst hegten, haben sich – zumindest auf dem deutschen Fundraising-Markt – glücklicherweise nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Viele Organisationen verzeichneten gleichbleibende oder sogar steigende Einnahmen, und gerade „Corona Mailings“ und andere Spendenaufrufe, die auf die schwierige Situation aufgrund der Pandemie verwiesen, liefen erstaunlich gut. Für ein abschließendes Fazit, was die Spendeneinnahmen anlangt, dürfte es allerdings noch zu früh sein, zumal die Krise ja immer noch nicht ausgestanden ist.
Auf zu neuen Märkten
Indes hat eine bestimmte Entwicklung im Fundraising von der Coronakrise und ihren Begleitumständen profitiert: die Entregionalisierung. Was sich anhört wie ein Begriff aus dem Wörterbuch der Bürokratie, bezeichnet die Tendenz hin zu länderübergreifenden Projekten und internationaler Zusammenarbeit – eine Tendenz, die im Fundraising schon seit geraumer Zeit zu beobachten ist. „Schon vor der Corona-Pandemie war die internationale Ausweitung ein wichtiges Thema für viele FundraisingOrganisationen, und die vielfältigen Gründe dafür sind die gleichen geblieben. So versuchen z.B. europäische oder US-amerikanische Organisationen, in asiatischen ,Ländern Spenden einzuwerben, in denen sie humanitäre Arbeit leisten; andere wollen
in Regionen Fuß fassen, die möglicherweise einen höheren ROI versprechen – z.B. spanische Organisationen, die ihr Fundraising auf Portugal ausdehnen, oder niederländische NGOs, die in Deutschland tätig werden“, weiß Emily Bracken, CEO bei Daryl Upsall International.
Die Agentur mit Sitz in Madrid unterstützt Organisationen dabei. Die Diversifizierung, so Bracken weiter, betreffe seit Ausbruch der Pandemie verstärkt auch die Fundraising-Kanäle: „Es wird nun stärker im Digitalbereich investiert, denn Face-to-Face-Fundraising funktionierte während der Corona Lockdowns in vielen Märkten natürlich nicht.“ Überhaupt hat die Krise nach Einschätzung von Emily Bracken Fundraiser*innen und Organisationen dazu gezwungen, neue Wege zu gehen und beispielsweise digitales oder Telefon-Fundraising auszuprobieren – eine Entwicklung, die die Expertin positiv bewertet: „Die Diversifizierung der Kanäle wird die Internationalisierung weiter befördern und auch erleichtern, indem sie Investitionsoptionen erweitert. Dies ist besonders wichtig in aufstrebenden Fundraising-Märkten, die häufig in Engpässen im Face-to-Face-Bereich stecken bleiben“, ist sie sich sicher.
Digitalisierung ist Trumpf
Nikki Bell, Direktorin von Fundraising Everywhere, einer Online-Lern- und -Austauschplattform für Fundraiserinnen und Fundraiser, betont die große Bedeutung der Digitalisierung für das Fundraising und speziell die Entregionalisierung: „Die Digitalisierung hat NPOs immer schon große Chancen geboten, und wenn es um Internationalisierung geht, ist sie sogar der Schlüssel: Wir können schnell und einfach mit Menschen in Kontakt treten, die sonst außerhalb unserer Reichweite sind – und zwar Experten und Expertinnen, Netzwerke und Spenderinnen und Spender gleichermaßen. Weil aber längst nicht jeder oder jede die Fähigkeiten, die Zeit oder
auch den Mut hat, neue Wege zu gehen, sind viele Organisationen bisher lieber bei den etablierten und ,sichereren‘ Fundraising-Methoden geblieben. Die Pandemie hat uns jetzt gezwungen, mutig und innovativ zu sein und digitaler zu werden.“ In puncto Wissensaustausch und Weiterbildung hat die Pandemie laut Nikki Bell durchaus Positives bewirkt: „Wir haben 2020 unzählige Webinare und andere virtuelle Events zu den verschiedensten Fundraisingthemen und zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch veranstaltet, und die Teilnahme war im Vergleich zum Jahr davor deutlich größer – das Arbeiten von zu Hause aus, die nicht-physische Präsenz sind aufgrund der Krise voll akzeptiert. Dies wird wohl auch künftig so sein: Selbst wenn wir wieder physische Events haben werden, wird man auch virtuell an ihnen teilnehmen können; es werden also hybride Events sein, an denen mehr Menschen
teilnehmen werden als früher.“ Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf europäische Fundraising-Organisationen hat auch der „Covid-19 Survey Report“, eine große Umfrage der European Fundraising Association (EFA), untersucht, an der sich rund 800 NPOs aus
26 europäischen Ländern beteiligt haben. Sie bestätigt unter anderem die wachsende Bedeutung der Digitalisierung: So nutzten
fast 70 Prozent der Befragten während der Pandemie verstärkt ihre digitalen Kanäle zum Zwecke des Fundraisings, und 60 Prozent gaben an, ihre Fundraising-Strategien künftig zu ändern und dabei vor allem auf digitale Kanäle setzen zu wollen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind auf der EFA-Website abrufbar.
Chancen auch für kleine NPOs
Mit Blick auf die Entregionalisierung beziehungsweise Internationalisierung können und sollten auch kleine Organisationen ihre Chance nutzen. Der Eintritt in einen neuen Fundraisingmarkt sei zwar nicht einfach und erfordere sorgfältige Planung, so Emily Bracken, aber grundsätzlich gelte: „Auch für kleine Organisationen ist das immer eine Option. Eine kleine Organisation hat vielleicht – zum Beispiel finanziell – eingeschränkte Möglichkeiten, kann aber auf einem neuen Markt genauso Erfolg haben wie eine große“, sagt die Expertin. Die Krise hat beim Deutschen Fundraising Verband dazu geführt, dass zu Info und Fortbildungszwecken verstärkt neue Formate zum Einsatz kommen – und das natürlich auch zum Thema Internationalisierung. So fand etwa am 10. Dezember 2020 ein vom DFRV gemeinsam mit der King Baudouin Foundation United States organisiertes Webinar statt, das sich damit befasste, wie deutsche NPOs neue Spender*innen im Ausland finden können. Dabei sprach die amerikanische Fundraising-Expertin Karen Brooks Hopkins über erfolgreiche Fundraising-Strategien in den USA, während Karla Hirsch von der Bayerischen Staatsoper Einblicke in die Gewinnung von amerikanischen Großspender*innen durch eine deutsche Organisation gab.
Im Gespräch:
Emily Bracken, CEO bei Daryl
Upsall International, Madrid
&
Nikki Bell, Mitgründerin und
Direktorin von Fundraising Everywhere
FUNDStücke 2021-01