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Prävention: sinnvoll, aber unbeliebt?

Es gab schon immer viele Katastrophen in der Welt. Aber in den vergangenen Jahren sind sie aus deutscher Perspektive gefühlt immer näher gerückt. Der Sinn von Prävention bzw. Präventionsarbeit sollte spätestens jetzt eigentlich absolut auf der Hand liegen – trotzdem ist es eher schwierig, für präventive Projekte Spender:innen zu gewinnen. Müssen wir damit leben?

Die Notwendigkeit von Prävention

Zuerst die Coronakrise, dann eine Hochwasserkatastrophe – und seit Februar 2022 tobt nahezu „vor unserer Haustür“ ein Krieg. Die Hilfsbereitschaft ist angesichts dieser besonderen Notlagen groß, Spenden fließen zum Glück reichlich. Und gleichzeitig kann man sich jetzt, wie auch bei vielen anderen Katastrophen, fragen: Hätten wir diese Mittel nicht in Prävention investieren sollen, damit die jeweilige Situation des unfassbaren Leids und der sinnlosen Zerstörung gar nicht erst eintritt?

Prävention in der humanitären Arbeit

Müssen wir akzeptieren, dass der Mensch sich eher bewegt, wenn der Schaden schon da ist – und vorher lieber nicht? Wie kann man Spender:innen von Spenden für präventive Projekte überzeugen – und: Kann man deren Erfolg, also die konkrete Wirkung, überhaupt messen? Wir haben darüber mit zwei Organisationen gesprochen, die Präventionsarbeit leisten, indem sie internationale Austauschprogramme für junge Menschen organisieren und fördern.

Dr. Anna Punke-Dresen ist Programmleiterin Fundraising in der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch. Im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland engagiert sich die Stiftung seit mehr als 15 Jahren für den nachhaltigen Brückenbau zwischen jungen Menschen und den Zivilgesellschaften. „Wir setzen uns mit Leidenschaft für Respekt, Verständigung und Frieden zwischen Deutschland und Russland ein“, fasst Dr. Punke-Dresen die Mission der Stiftung zusammen.

Seit Februar ist alles anders. „Wir stehen immer noch unter Schock über den militärischen Angriff des russischen Staates auf die Ukraine und ihre Menschen“, sagt die Fundraiserin. Ihre Arbeit kann die Stiftung natürlich nicht ohne weiteres fortführen: „Durch den völkerrechtswidrigen kriegerischen Akt ist uns die Grundlage entzogen, mit staatlichen russischen Strukturen zusammenzuarbeiten.“

Friedensbotschafter durch Jugendarbeit

Auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge muss sich der neuen Situation anpassen. „Seit bald 70 Jahren machen wir Jugendarbeit, das ist unser zweites Standbein neben der Kriegsgräberfürsorge“, beschreibt Generalsekretär Dirk Backen die Präventionsprojekte der traditionsreichen Organisation, die 1953 mit einer Jugendbegegnung zwischen belgischen und deutschen Jugendlichen begann – auf einer Kriegsgräberstätte des Zweiten Weltkriegs.

Die Zielsetzung der Jugendarbeit hat sich seitdem nicht verändert: „Kriege zwischen den Ländern dürfen sich nicht wiederholen“, bringt Dirk Backen die Vision auf den Punkt. „Wir möchten erreichen, dass sich insbesondere die junge Generation ein Bild macht, was so ein Krieg zwischen den Völkern anrichten kann. Diese jungen Menschen sitzen 10, 20 oder 30 Jahre später an den entscheidenden Positionen. Sie sollen sozusagen Friedensbotschafter werden. Unsere Jugend- und Bildungsarbeit ist ein guter Impfstoff gegen Extremismus, Ausgrenzung und Narrative, die sich nationalistisch aufladen – und damit gegen den Nährboden von Krieg.“

Trotz der jahrzehntelangen Arbeit haben sich in diesem Jahr viele Hoffnungen zerschlagen. „Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Ideologie dahinter haben uns gezeigt, dass die Zeiten der Verführung und der gewaltsamen Durchsetzung von politischen Zielen nicht vorbei sind“, bedauert Dirk Backen. Die Arbeit des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge in der Ukraine ist nahezu zum Erliegen gekommen. Auch in Russland geht es nur auf sehr niedrigem Niveau weiter. „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter:innen hat natürlich Vorrang“, betont der Generalsekretär. „Gemeinsame Veranstaltungen sind zurzeit nicht vorstellbar.“

Spendenzweck Prävention

Präventionsarbeit, diese Erfahrung machen beide Organisationen, ist ein schwieriges Spendenthema – vor allem im Vergleich zu Katastrophen, die bereits eingetreten sind. Dr. Anna Punke-Dresen gibt zu bedenken: „Unser Spendenzweck war bisher natürlich ein Nischenthema für Zielgruppen, die eine persönliche oder berufliche deutsch-russische Beziehung haben. Er hatte nichts mit Nothilfe zu tun, für die Menschen oft aufgrund emotionaler Ereignisse spenden.“ Ändert sich das jetzt womöglich?

Auch Dirk Backen stellt fest, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zunehmend Herausforderungen meistern muss – die Katastrophe Zweiter Weltkrieg, die seine Arbeit mit großer Dringlichkeit und Emotion notwendig machte, liegt einfach schon lange zurück. Umso wichtiger ist es, die Wirkung der Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit konkret aufzuzeigen.

Ist das möglich? Dirk Backen nickt entschieden. „Wir haben zum Beispiel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fast eine Million deutsche Kriegstote im Osten geborgen und ihnen ein würdiges Grab verschafft. Wir haben zigtausenden Familien eine Information zum Schicksal ihrer Verwandten geben können. Was die Jugendarbeit betrifft: Wir sehen an den vielen Briefen von Menschen aller Altersstufen, dass unsere Begegnungs- und Austauschmaßnahmen sehr prägend sind.“

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge arbeitet gerade aktiv an der Wirksamkeits-Messung seiner Maßnahmen. Dirk Backen: „Wir prüfen: Wie viele Menschen gehen zu unseren Kriegsgräberstätten und welche Erfahrungen nehmen sie mit? Wir haben Kriegsgräberstätten, zum Beispiel in der Normandie, die von hunderttausenden Menschen besucht werden. Das zeigt schon, dass wir eine große Wirkung erreicht haben. Die Kriegsgräberstätten sind wichtige Orte der Begegnung und des Lernens.“

Jugendaustausch sorgt für Mehrwert

Dr. Punke-Dresen macht mit der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch ähnliche Erfahrungen und ist überzeugt: Die Wirkung ihrer Arbeit ist messbar. Im Jahr 2019 beispielsweise fanden 169 Maßnahmen mit insgesamt 5.666 Teilnehmenden statt. „Das Thema Wirkung geht für uns aber natürlich über reine Zahlen hinaus“, stellt sie fest. „Wir bieten mit unserer Förderung des Jugendaustauschs sowohl einen individuellen als auch einen gesellschaftlichen Mehrwert – das erfahren wir zum Beispiel in Feedbackgesprächen oder durch Erfolgsstorys, die uns nach einem Austauschprogramm erreichen.“

Für beide Organisationen spielt in den Begegnungs- und Austauschprojekten auch die Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen eine große Rolle. „Sie übernehmen Verantwortung, finden Freunde fürs Leben, erfahren ein unvergleichliches Gemeinschaftsgefühl und stärken ihre eigene Identität. Das macht unsere Gesellschaft stark für die Zukunft.“ Dirk Backen ergänzt: „Wir können ihnen zeigen, wie Jugendliche auf der anderen Seite der Grenze denken – das ist ein Beitrag zur Formung von Charakter und Haltung.“

Präventions- und Friedensarbeit

Wie können Fundraiser:innen diese Wirkung von Präventionsarbeit kommunizieren und Menschen für die Unterstützung der Projekte gewinnen? Die Spendenbereitschaft nach Katastrophen ist meist erfreulich hoch – wie erreicht man es, sie auch vor Katastrophen zu erhöhen?

„Menschen lassen sich durch Katastrophen dazu bewegen, altruistisch etwas von ihrem Besitz abzugeben und anderen Menschen zu helfen – weil diese Ereignisse sehr einprägsam und wirkmächtig sind“, stellt Dirk Backen fest. „Ich glaube aber, dass dieser Altruismus grundsätzlich in ihnen angelegt ist. Es wird also immer darauf ankommen, klar zu machen: Wo ist der Wert für mich als Spender? Was habe ich davon, wenn ich hier einen Teil meines Geldes investiere?“

Präventionsarbeit bietet auf diese Fragen gute Antworten, davon sind Dirk Backen und Dr. Anna Punke-Dresen überzeugt. „Wir können von dem Jugendaustausch erzählen, aus dem realen Leben junger Menschen, von der bereichernden Wirkung einer Austauscherfahrung und von den Beziehungen beider Länder“, beschreibt Dr. Punke-Dresen die Möglichkeiten.

Präventionsarbeit und Friedensarbeit sollten grundsätzlich zusammen gedacht und auch stärker öffentlich thematisiert werden.“ Es kommt also darauf an, Wirkung und Vorteile der Präventionsarbeit zu verdeutlichen, am besten anhand von konkreten emotionalen Geschichten, unterfüttert mit Zahlen, Daten und Fakten. Diese Erfolgsfaktoren sind für das Fundraising für Friedensarbeit wichtig, aber sicher auch auf andere Bereiche der Prävention übertragbar – ob es nun um die Klimakrise und ihre Auswirkungen geht oder um Hungerkatastrophen, beispielsweise in Afrika.

Gemeinsam für den Frieden

Zurück zur akuten Kriegskatastrophe – wie geht es weiter mit der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland im Bereich Austausch und Begegnung? „Während des Kriegs gegen die Ukraine ist kein Austausch möglich“, stellt Dr. Anna Punke-Dresen fest.

„Ein Arbeitsfeld, auf das wir uns fokussieren werden, ist Friedensarbeit in Deutschland – mit deutschen, russischen und ukrainischen Kindern und Jugendlichen, und natürlich mit allen anderen, die hier zur Schule gehen. Friedensarbeit haben wir auch schon vor dem Krieg geleistet, das aber nach außen nicht so klar benannt. Wir möchten auch ein diverses Bild von Russland und russischen Menschen vermitteln. Dazu gehören etwa Beiträge zum Beispiel zu russischen Künstler:innen, die sich für Frieden einsetzen, oder zu jungen Menschen in gemischten deutsch-russisch-ukrainischen Familien.“

Dirk Backen denkt als Generalsekretär des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge schon jetzt an eine Zeit nach dem Krieg und versucht, zuversichtlich zu bleiben: „Die Frage stellt sich natürlich: Wie können wir Zukunft wieder ins Gespräch kommen? Das setzt auf der russischen Seite so etwas wie einen Lernprozess voraus, eine Einsicht. Wenn das nicht da ist, sehe ich wirklich schwarz für die Zukunft und dafür, dass wir wieder zueinanderfinden.

Am Ende gilt aber die alte Regel: Es ist immer besser, miteinander zu reden, als den Austausch abzubrechen.“ Die Botschaft des Volksbundes lautet „Gemeinsam für den Frieden“ – sie war selten so aktuell wie heute, findet der Generalsekretär. „Es bleibt eine Herausforderung für die gesamte Menschheit, den Krieg als eine der größten Geißeln der Menschheit zu überwinden. Zum Krieg gibt es immer eine Alternative. Zum Frieden nicht.“

Zu dieser elementaren Arbeit können und sollten auch Fundraiser:innen das Ihrige beitragen, indem sie die Menschen für die Unterstützung von Präventionsarbeit begeistern. Das sieht auch Dr. Anna Punke-Dresen für ihre Organisation so: „Unsere Aufgabe bleibt es, Menschen der Zivilgesellschaft dabei zu helfen, zueinander zu finden und sich auszutauschen. Auch in diesen dunklen Tagen.“

Im Gespräch

  • Dirk Backen, Generalsekretär Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
  • Anna Punke-Dresen, Programmleitung Fundraising bei der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch

Quelle: FUNDStücke

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