FUNDStücke

Nadine Sachse: Face-to-Face-Fundraising und die Gründung von Project Wings

Warum machen wir’s nicht einfach?

Wir treffen Nadine Sachse (talk2move, Project Wings) beim Fundraising Kongress 2022 in Berlin. Nadine strahlt. Dass sie den Fundraising Preis für herausragendes Engagement bekommen hat, macht sie sichtlich stolz, gleichzeitig ist ihr die Aufmerksamkeit ein bisschen unangenehm. Und jetzt auch noch ein Interview für die FUNDStücke? „Das gehört wohl dazu“, sagt sie ironisch, mit gequältem Gesichtsausdruck. Beim Erzählen siegt aber doch die Begeisterung für ihre Themen: Face-to-Face-Fundraising, soziales Engagement und der Aufbau von gemeinnützigen Organisationen.

 

GRÜN alpha (GAL): Du bist ein echtes Agenturgewächs: Du hast in einer Eventagentur, eine PR-Agentur und einer Medienagentur gearbeitet. Seit 2007 bist du bei der Face-to-Face-Agentur talk2move.

Nadine Sachse (NaS): Richtig, ich habe dual studiert, deshalb die vielen Agenturen, das war vorgegeben in der Prüfungsordnung. Witzigerweise: Ohne, dass ich das bewusst entschieden habe, war ich immer für die sozialen Projekte verantwortlich. Um meine Studiengebühren bezahlen zu können, habe ich mir einen Nebenjob gesucht – und so bin ich bei talk2move gelandet. Als Face-to-Face-Fundraiserin.

 

GAL: Und dann direkt dort geblieben …?

NaS: Ja, aber das hatte ich gar nicht vor. Nach Ende meines Studiums wollte ich dem Geschäftsführer ein Feedback geben, wie ich die vergangenen vier Jahre empfunden hatte. Warum ich der Meinung war, dass sich die Face-to-Face-Arbeit in dieser Zeit nicht sonderlich positiv entwickelt hatte, und dass es so nicht weitergehen konnte in meinen Augen. Ein bisschen hatte ich Sorge, dass dieses Gespräch eskalieren könnte, aber er hat verstanden, worauf es mir ankam. Und dass er mit seiner Agentur auf Qualität setzen sollte. So hat er mir total spontan eine Stelle im Qualitätsmanagement angeboten.

Der Weg zu Project Wings

GAL: Und wie kam es dazu, dass Du selbst eine gemeinnützige Organisation mitgegründet hast?

NaS: Wenn Du zehn Jahre lang für Organisationen draußen stehst und viele tausend Gespräche führst, dann weißt Du, worauf die Zivilgesellschaft Wert legt. Welche Punkte kritisiert werden und welche Argumente es gibt, nicht zu spenden. Ein Kollege von mir hat darüber eine Facharbeit geschrieben, die haben wir im Team weiter ausgearbeitet. Das Thema war: Die zehn größten Spenderprobleme im deutschen Markt. Und natürlich: Was sollten kleine, neue Organisationen auf dem Schirm behalten? Wir haben also auch Lösungsansätze erarbeitet. Naja, und das war eigentlich die Geburtsstunde von Project Wings. Wir dachten: Jetzt wissen wir, was wir anders und besser machen können. Warum machen wir’s nicht einfach? Der Kollege war Marc Helwing, heute Geschäftsführer von Project Wings. Die Idee aus Ecobricks zu bauen kam von unserem Kollegen Sebastian Keilholz, der die ersten Flaschen bereits Monate vor der Gründung auf Sumatra stopfte und für dessen Grundidee talk2move schon Spenden gesammelt hatte.

Ecobricks

GAL: Worum geht es in dem Projekt?

NaS: Um genau diese Ecobricks. Das sind PET-Flaschen, die mit nicht recyclebarem Plastikmüll gestopft und als Baumaterial genutzt werden. Mit Project Wings haben wir diese Idee weiterentwickelt. Die Einheimischen können Müll in der Umgebung sammeln, säubern und zu Ecobricks verarbeiten – dafür bekommen sie von Project Wings 5.000 Rupiah, umgerechnet ca. 35 Cent, eine warme Mahlzeit. Aus den Ecobricks bauen wir Gebäude für die Allgemeinheit und generieren gleichzeitig eine Einnahmequelle für die Einheimischen. Das war gerade in der Coronazeit eine große Hilfe, denn der Tourismus als nahezu einziger Wirtschaftszweig ist komplett eingebrochen und ein Sozialsystem gibt’s dort nicht.

 

GAL: Die Organisation ist also aus einem Team von Kolleginnen und Kollegen bei talk2move entstanden?

NaS: Ja, es haben sich alle dort kennengelernt. Ich war mittendrin und habe viel beraten und geholfen, aber weiterhin meinen Job in der Agentur gemacht. Einerseits wäre es nicht gut gewesen, wenn so viele auf einmal weggehen und andererseits konnte ich nicht einfach aufhören, Geld zu verdienen. Bei den anderen ging das ein bisschen besser – Sebastian zum Beispiel wohnt zu 80 Prozent auf Sumatra, da hat er andere Lebenshaltungskosten. Nach ungefähr anderthalb Jahren habe ich mit meinem Chef geredet und von ihm das Go bekommen, auch ganz offiziell bei Project Wings mitzumachen.

Face-to-Face-Fundraising

GAL: War die Anfangszeit sehr schwierig? Was war Euer Erfolgsgeheimnis?

NaS: Wir haben es nach anderthalb Jahren geschafft, sehr gut dazustehen. Wir sind nicht von Fördertopf zu Fördertopf gegangen, wie es viele andere Gründer*innen machen, sondern wir haben an der Basis auf Face-to-Face gesetzt. Wir waren ja als Agenturmitarbeiter*innen viele Jahre lang das Aushängeschild für unsere Kunden – das war eine große Ehre, ich habe immer sehr gerne für die Organisationen gearbeitet. Und zwar genauso gern für ganz große, wie für kleinere. Deshalb wussten wir: Dieses Tool funktioniert auch im kleinen Rahmen. Also dachten wir: Machen wir das einfach für uns selbst auch.

Zusammenhalt als Erfolgsrezept

Wir hatten zwar einerseits noch nicht so viel herzuzeigen und es kannte uns niemand, andererseits hatten wir den Riesenvorteil, dass es nicht teuer war, weil wir es selbst umsetzen konnten. Nach diesen anderthalb Jahren hatten wir also ein paar tausend Förderer, die uns eine finanzielle Grundsicherung gegeben haben. So haben wir nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch schnell eine große Reichweite gewonnen. Jeder potenzielle Förderer, auch wenn er nicht gespendet hat, folgt uns zumindest auf Instagram. Das größte Erfolgsgeheimnis ist vermutlich im Team begründet. Wenn uns eines ausmacht, dann der Zusammenhalt, ganz viel Herzblut und ein Brennen für Project Wings.

 

GAL: Und dann entstand Wings Experience – Ihr unterstützt andere Non-Profit-Organisationen bei der Gründung. War auch das nicht geplant?

NaS (Lacht): Nein, wirklich nicht. Als Corona kam, wurde es schwierig. Auf einmal gaben viele kleine Organisationen auf, die zum gleichen Zeitpunkt wie wir gegründet hatten. Es war nicht die Projektidee oder der Inhalt, woran es bei denen gescheitert ist, sondern sie haben es einfach finanziell nicht gepackt.

Wir wurden immer öfter gefragt: Warum schafft ihr das denn, die ganze Zeit neue Leute einzustellen? Wir sind sehr kommunikativ, haben uns mit vielen Leuten ausgetauscht. Es war beeindruckend, wie viel Bedarf es von kleinen Organisationen gab. Und da haben wir uns gedacht: Können wir das nicht als Finanzierungssäule für Project Wings etablieren? So haben wir die Wings Experience gegründet, als Mentoring-Programm, in dem wir unsere Erfahrungen an andere weitergeben und uns austauschen, über Fehlschläge, Einbahnstraßen – und Erfolgsrezepte.

 

GAL: Das Geld, das Ihr von den kleinen Organisationen für dieses Mentoring bekommt, fließt dann wiederum in die Arbeit von Project Wings?

NaS: Genau, der Gewinn daraus. Vorrangig zahlen wir davon Werbung und Verwaltung.

Möglichkeiten zur Finanzierung

GAL: Was sagst Du aus Deiner Erfahrung heraus: Was hilft kleinen Organisationen zu Beginn am meisten?

NaS: Das ist natürlich vom Projekt abhängig. Für alle sind zunächst die unterschiedlichen Finanzierungsquellen spannend. Uns hat es sehr geholfen, dass wir auf unterschiedliche Säulen gebaut haben. Wir haben zunächst auf Face-to-Face gesetzt – das passt natürlich nicht für jede Organisation. Im zweiten Step sind wir in Richtung Unternehmenskooperationen gegangen und erst in dritter Instanz ging es um Fördergelder.

Der zweite Punkt, bei dem wir gut helfen können, ist das Thema Kommunikation. Wir haben gute Erfahrungen mit unserer Medienarbeit gemacht und erklären gern, welche Strategie wir verfolgt haben – warum und wie wir zum Beispiel Schirmherren gesucht haben und wie wir sie für unser Projekt begeistern konnten. Auch wie wir beispielsweise unser Pitch Deck weiterentwickelt haben für die Unternehmenskooperationen. Wie wir Bindung erzeugen über Social Media und ein faires, verantwortungsbewusstes Volunteersprogramm aufgebaut haben. Und wie überhaupt der Spendenmarkt aussieht, welche Probleme und Fragen die Spender*innen haben, was man da im Blick behalten muss. Viele Gründer*innen kommen nämlich aus der Projektarbeit und bringen oftmals wenig Erfahrung im Marketing oder Fundraising mit.

 

GAL: Was wäre da zum Beispiel wichtig?

NaS: Na, ganz klassisch, das Thema Transparenz oder Werbe- und Verwaltungskosten.

 

GAL: Also – wie man den Spender*innen erklärt, warum diese Kosten wichtig sind?

NaS: Unter anderem, ja. Aufklärungsarbeit ist in diesem Punkt super wichtig. Aber es ist besser, wirklich einmal zuzuhören – jedem einzelnen Stakeholder. Unserer Erfahrung nach akzeptiert die ältere Dame in der Fußgängerzone es nur sehr schwer, wenn von ihren zehn Euro nur sieben ankommen. Sie möchte das Projekt unterstützen. Aus ihrer Perspektive ist das verständlich. Deshalb versuchen wir, einen differenzierten Weg zu gehen. Wir finanzieren unsere Struktur überwiegend über die Wings Experience und Unternehmenskooperationen – Unternehmen haben dafür ein ganz anderes Verständnis. Auf diese Weise können wir wirklich 100 Prozent der privaten Spenden in das Projekt leiten und so dem Anspruch der Spenderin auf der Straße gerecht werden. Wir sehen es als einen zweiten Schritt vorm ersten, allen einen gewissen Betrag an Werbe- und Verwaltungskosten aufzuerlegen.

 

GAL: Was ist für Dich persönlich das Wichtigste an Deiner vielschichtigen Arbeit – sowohl in der Agentur als auch in der gemeinnützigen Organisation und im Mentoring?

NaS: Die Menschlichkeit und der Umgang. Wenn die menschliche Ebene einmal nicht mehr passen sollte, dann kehre ich der Sache den Rücken. Ich möchte in den Spiegel gucken können und die Projekte, für die ich tätig bin, von Herzen und aus Überzeugung umsetzen. Das wird sich auch nie ändern. Ich habe mich ganz bewusst für den NGO-Sektor entschieden und möchte ihn mit meiner ganzen Energie stärken.

 

Quelle: FUNDStücke 4-2022

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