FUNDStücke

Die Generation „Bessere Welt“ und ihre neuen Werte

Ist geben noch gleich geben?

#FridaysForFuture vs. „Das haben wir doch schon immer so gemacht!“: Selten war die Kluft zwischen den Generationen so groß wie heute. Alte und neue Probleme schicken die Weltbevölkerung auf eine Gratwanderung zwischen Vergangenheit und Zukunft – und diese Gratwanderung macht sich auch in gemeinnützigen Organisationen bemerkbar.

Bruch der Generationen

„Nach meiner persönlichen Wahrnehmung findet hier gerade ein Bruch zwischen den Generationen statt, in welchem die Jüngeren gegen die Fehler und die vermeintliche Sturheit der Älteren aufbegehren“, erzählt uns Tari Çalışkan, Auszubildender und Projektverantwortlicher für den Giving Tuesday beim Deutschen Fundraising Verband. Çalışkan ist selbst Teil einer jungen Generation und steht Gemeinnützigen dank seiner Tätigkeit besonders nah. „Die internationalen Protestbewegungen der letzten zwei Jahre und die dazugehörigen Debatten haben das eingehend gezeigt. Dabei geht es nicht nur um die Frage des Klimawandels, sondern auch um Themen wie die soziale Frage, Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und die Rechte der LGTBQ-Community. Dies ist meiner Meinung nach ein starker Ausdruck von zivilgesellschaftlichem Verantwortungsgefühl. Besonders interessant hierbei finde ich, welche Diskussionen innerhalb der Organisationen stattfinden und wie sie sich hierdurch verändern werden. Es wird wahrscheinlich nicht nur die Strategien von Kampagnen verändern, sondern auch die Organisationen selbst. Erste Veränderungen hierzu lassen sich bei den großen Organisationen bereits beobachten.“

Die verschiedenen Werte der Generationen

Die junge Generation ist offensichtlich von großem Tatendrang getrieben. Menschen, die jünger sind als 40, wollen häufig nicht bloß spenden und hoffen, dass ihr Geld Gutes bewirkt – zumal sie auch meist noch nicht einkommensstark genug sind, um regelmäßige Spender*innen zu sein – sondern wollen sich kopfüber ins Getümmel werfen und etwas verändern. „Die jüngeren Generationen möchten stärker Einfluss nehmen auf die Welt und haben hohe moralische Erwartungen“, findet Çalışkan. „Dies ist unter anderem ein Grund dafür, dass sich viele junge Menschen ein stärkeres Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit wünschen, wohingegen die Generation 65+ das aktuelle Niveau für absolut ausreichend erachtet. Besonders spannend finde ich, dass die junge Generation den ungeheuren Wunsch hegt, partizipativ mitzugestalten und sich aktiv einbringen möchte. Das widerspricht der Erzählung einer entpolitisierten Jugend im digitalisierten Zeitalter, und ich sehe das mit großer Begeisterung.“ Tatsächlich zeigen junge Leute eher Interesse an der Entwicklungszusammenarbeit, während ältere meist schlicht auf Entwicklungshilfe setzen. Trotzdem werde die Unterstützung von Ländern des globalen Südens über alle Generationen hinweg unverändert als sehr wichtig betrachtet, so Tari Çalışkan – immerhin eine Gemeinsamkeit zwischen den Generationen.

Ein entscheidender Unterschied jedoch: Gerade mit Blick auf die Klimakrise möchten Jüngere nicht nur akute Probleme lösen, sondern vor allem dafür sorgen, mit ihren Lösungen die Zukunft zu sichern. „Das vielleicht wichtigste Thema der jüngeren Generation ist Nachhaltigkeit“, fasst es Çalışkan zusammen. „Hier findet gerade eine erstaunliche kulturelle Veränderung statt, die unsere alten Lebens- und Konsumeinstellungen massiv verändert. Dies führt dazu, dass neben der allgemeinen Spendenbereitschaft gleichzeitig die Frage gestellt wird, was man zusätzlich mit seinem eigenen Verhalten erreichen kann, um Veränderung zu bewirken. Das ist ein sehr struktureller Ansatz, der gleichzeitig auch die Einsicht bringt, dass unsere Lebensweisen in den westlichen Gesellschaften große Probleme in puncto Klimagerechtigkeit und globaler Vermögensverteilung mit sich bringen. Es ist somit auch Ausdruck einer gewissen Haltung, dass strukturelle Probleme mehr benötigen als eine Spende, und dass Engagement gerade in der jungen Generation immer wichtiger wird.“

Nachhaltigkeit wird digital

Der Wunsch nach Engagement in der jungen Generation brennt sogar so hell, dass der Funke bereits auf die moderne Popkultur übergesprungen ist. „Wenn ich mir heute Filme, Serien, Werbung, Trends und öffentliche Personen anschaue, dann würde ich sagen, dass vermeintlich altruistische Botschaften und Lebensweisen vor allem in den letzten Jahren zu festen Teilen der Popkultur geworden sind. Hier hat quasi ein vollständiger Paradigmenwechsel stattgefunden“, stellt Tari Çalışkan begeistert fest. Egal, ob es Werbespots zur Rettung von Schildkröten vor Plastikstrohhalmen sind, oder Supermärkte, die vollständig auf Papiertüten umsteigen: Die Welt befindet sich im Wandel, und wer nicht mitzieht, der büßt. „Kaum ein Unternehmen, keine Person des öffentlichen Lebens kann es sich mehr leisten, die Erwartung vieler Menschen an Nachhaltigkeit und Veränderung zu ignorieren. Die führt natürlich auch zu den kuriosesten Entwicklungen, wenn beispielsweise prominente Umweltsünder*innen aus Industrie und Gesellschaft über Nacht scheinbar zu Pionier*innen der Nachhaltigkeit werden.“

Noch eine Besonderheit der heutigen Zeit: Dank digitaler Medien kann man jede Entwicklung stets beobachten. „Die Geschwindigkeit und die Breite des Informationsangebots sind enorm und stellen mit Blick auf Hasskriminalität, Cybermobbing und sogenannte Fake News auch eine riesige Herausforderung dar“, berichtet Çalışkan von den Schattenseiten der Digitalisierung. Trotzdem sieht er Chancen und klare Vorteile, auch für Gemeinnützige. „Ich beobachte, wie Menschen in meinem Umfeld viel häufiger mit Spendenthemen in Berührung kommen, sich an Diskussionen beteiligen, oder diese verfolgen. Die große Stärke der digitalen Medien ist es, dass neben der reinen Flut an Informationen die Chance besteht, Themen zugänglicher und weniger abstrakt zu vermitteln. Seien es Fluchthelfer*innen im Mittelmeer, Frauen in Kolumbien, oder LGBTQ-Personen in Ungarn: Wir können heute ganz direkt mit diesen Menschen kommunizieren und ihre ganz persönlichen Erfahrungen, Nöte und Hoffnungen via Social Media verfolgen Dies hilft uns, eine Identifikation mit ihnen herzustellen, beziehungsweise eine konkrete emotionale Verbindung. Übersetzt heißt das aber auch, dass die Anforderungen für Fundraising in einer digitalisierten Welt wachsen.“ Klarer Fall also: Transparente und exakte Kommunikation ist der Schlüssel. Außerdem fügt Tari Çalışkan hinzu: „Ähnlich wie im klassischen Marketing sehe ich, dass die Qualität der Inhalte und die Geschichten hinter Kampagnen eine immer wichtigere Bedeutung bekommen.“

Spenden-Streams auf Twitch

Doch nicht nur auf Instagram finden moderne Inhalte Anklang bei der jungen Generation, sondern auch auf der Streaming-Plattform Twitch. Hier übertragen Streamer*innen meist Videospiele, interagieren dabei ganz direkt mit den Zuschauer*innen im Chat – und sammeln dabei nicht selten Spenden für gemeinnützige Projekte. „Nicht erst seit dem letzten Jahr bin ich selber begeisterter Twitch-Nutzer und habe den Aufstieg dieser Plattform von Anfang an mit großer Begeisterung verfolgt“, freut sich Tari Çalışkan. „Mittlerweile sind die Zuschauer*innenzahlen so rasant angestiegen das sich hier nicht nur eine Professionalisierung der Plattform eingestellt, sondern sich auch die Breite der verschiedenen Themen und Streams stark verändert hat. Ein großer Vorteil, den ich hier sehe, ist, dass sich durch Twitch nicht nur Reichweite gewinnen lässt, sondern dass die kooperierenden Streamer*innen quasi selbst zu Botschafter*innen werden und somit auch einen wichtigen Beitrag leisten können, junge Menschen nachhaltig und inhaltlich zu erreichen. Was die Kultur des Gebens angeht, so hat Twitch jedenfalls schon jetzt das Bewusstsein der jungen Generation stark verändert, die, anders als früher, viel eher bereit ist, ihr Geld für jegliche Art von digitalem Content an Streamer*innen zu spenden. Hier macht sich also eine gewisse Selbstverständlichkeit für das Spenden breit, was uns in der Kommunikation mit potenziellen Spender*innen auf digitalen Plattformen enorm helfen kann.“

Was gibt uns der Giving Tuesday?

Apropos Kultur des Gebens: Auch der Aktionstag „Giving Tuesday“ bietet Chancen. „Ich sehe gerade hier, wo viele Menschen in der Vorweihnachtszeit rund um den Black Friday in ihrem Nachhaltigkeitsbewusstsein angesprochen werden, eine sehr gute Möglichkeit, das Konzept des Gebens in der Öffentlichkeit stärker zu verankern“, so Çalışkan. „Gerade wegen des bereits angesprochen Fokus der jungen Generationen auf das Thema Nachhaltigkeit, und nicht zuletzt auch wegen der Veränderung des Kauf- und Kommunikationsverhaltens, ist es höchste Zeit, die positiven Effekte der Digitalisierung stärker zu nutzen. Der Giving Tuesday muss meiner Meinung nach als hybride Aktionsidee gedacht werden, mit welcher wir auf der einen Seite echtes Engagement in der Gesellschaft mobilisieren können und auf der anderen Seite eine starke digitale Strategie brauchen, um dort zu sein, wo sich die junge Generation heute hauptsächlich bewegt. Dinge, die in der digitalen Welt nicht oder nur leise stattfinden, schaffen es immer seltener in die Wahrnehmung der Menschen. Der Giving Tuesday ist für mich die ideale Gelegenheit, um im digitalisierten Fundraising Erfahrung zu sammeln, die in der Zukunft so wichtig sein wird.“

Unser Gesprächspartner:

Tari Çalışkan, Projektverantwortlicher für den Giving Tuesday und Auszubildender beim Deutschen Fundraising Verband

 

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